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Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Grebe
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aus der Gesprächsgruppe sind alle gegangen. Einige führten laute, empörte Diskussionen miteinander, andere, wie Sofie, waren schweigsam und wirkten peinlich berührt, wie das so ist, wenn einen die Wirklichkeit einholt.
    Reality bites. Sagt man das nicht so?
    »Ich habe nur solche Angst, dass er sie auch noch umbringt.«
    »Ich verstehe.«
    Ich muss einfach lachen.
    »Wenn du das sagst, komme ich mir vor wie eine von deinen Klientinnen, verstehst du?«
    Seine Hand liegt jetzt auf meiner. Groß, warm, trocken. Die Art von Hand, die mein Vater hatte, als ich klein war. Die Art von Hand, die unendliche Geborgenheit schenkt und Sicherheit vermittelt, eine Berührung, in der man sich einfach verlieren kann.
    Aber er erwidert mein Lachen nicht.
    Ich sehe ihn vorsichtig an. Die ergrauenden Haare sind nach hinten gekämmt, legen die hohe, braungebrannte Stirn frei. Die Falten um die Augen sind tiefer als sonst. Sein Blick ist müde. Hoffnungslos vielleicht.
    Und ich sehe Sven, einen müden Mann von Mitte fünfzig, der soeben von seiner Frau verlassen worden ist, der es aber über sich bringt, das beiseitezuschieben, um sich meinen Gedankenschwall anzuhören.
    Ich bin plötzlich neugierig darauf, wie es ihm geht. Schäme mich ein wenig, weil ich so sehr auf meine eigenen Probleme fixiert war. Ich habe ihn wirklich noch nie gefragt, wie ihm zumute ist, jetzt, da Birgitta ihn nach all den Jahren verlassen hat. Wie er mit Einsamkeit und herbstlicher Dunkelheit zurechtkommt.
    »Wie geht es dir eigentlich?«, frage ich und schaue zu ihm auf. Und wie auf ein Signal hin greift er nach den Zigaretten, die neben der Pfeife auf dem Tisch liegen. Nimmt eine heraus und schiebt sie sich langsam in einen Mundwinkel, während er sich zugleich nach einem Streichholz vorbeugt.
    »Du solltest hier nicht rauchen. Du weißt doch, dass Aina dann sauer wird.«
    Aber er schüttelt nur den Kopf, als hätte er andere Sorgen und wollte nichts von dieser Ermahnung wissen.
    »Was soll ich sagen? Es ist eine verdammte Hölle.«
    Ich nicke stumm, ahne, dass er sich mir jetzt richtig anvertrauen wird.
    »Bist du einsam?«
    Er nickt, ohne zu antworten, und schaut auf seine nikotingelben Finger, scheint seine Nägel zu studieren.
    »Wie lange ist das jetzt her?«, frage ich vorsichtig.
    »Sie ist vor einem Monat ausgezogen.«
    »Was ist passiert?«
    »Sie sagte, es reiche jetzt. Sie könne meine Lügen nicht mehr ertragen.«
    »Lügen? Hat sie dich erwischt?«
    Sven nickt wieder, macht einen langen Zug, und die Zigarette flackert in dem trübe erleuchteten Zimmer auf wie ein Irrlicht.
    Sven schaut mich überrascht an, als hätte er die Frage nicht verstanden, und ich werde plötzlich unsicher.
    »Mit wem hat sie dich erwischt?«
    »Verdammt, warum haben alle nur so beschissene Vorurteile?«
    Sven springt auf, läuft mit der Zigarette in der Hand im Zimmer hin und her. Ich weiß nicht, ob er wütend auf mich ist oder nur ganz allgemein über die Situation.
    »Habe ich etwas Dummes gesagt?«
    »Ich … nein, ich weiß nicht. Alle glauben ja doch, dass sie mich verlassen hat, weil ich andere Frauen hatte.«
    »War das denn nicht so?«
    »Sicher hatte ich andere. Sie übrigens auch. Wir hatten eine offene Beziehung. Eine polyamouröse Beziehung. Aber das können andere so schwer verstehen, sie haben nur ihre stereotypen Bilder darüber, was Liebe ist. Die heteronormative Kleinfamilie. Du weißt.«
    »Mit wem?«
    »Wie meinst du das, mit wem?«
    Er verstummt und blickt mich quer durch das Zimmer forschend an, wie um festzustellen, ob ich freisinnig genug bin, um zu erfassen, was er sagt.
    »Oh, das überrascht mich doch sehr. Ich bewerte das wirklich nicht, aber ich wäre nie … auf die Idee gekommen.«
    »Nicht alles ist so, wie es aussieht.«
    »Ich nehme an, du hast recht.«
    »Birgitta hatte im Lauf der Jahre viele Liebhaber. Und Liebhaberinnen.«
    »Ach«, sage ich und denke an die rundliche grauhaarige Frau, an ihren üppigen Mund und das zerfurchte Gesicht. An ihre Leinenkostüme und die großen silbernen Schmuckstücke. Die unmittelbare Würde, die sie ausstrahlt, wenn sie ein Zimmer betritt, wie sie es mit ihrer selbstverständlichen starken Anwesenheit füllt.
    Warum sollte sie keine Liebhaber haben? Und Liebhaberinnen.
    Sven lässt sich wieder auf den Stuhl mir gegenüber sinken. Er scheint sich beruhigt zu haben. Er drückt die Zigarette in der Kuchenschachtel aus, wo die Asche sich mit den Krümeln der Zitronenschnitten aus der Bäckerei in der

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