Das Trauma
halten sollen, wie vorsichtig, wie hart.
Er streichelt meinen Bauch. Küsst meinen Nacken.
»Du hast wirklich zugenommen.«
Er klingt heiser, noch nicht richtig wach. Ich ziehe mich vorsichtig auf die andere Seite des Bettes zurück, soweit das überhaupt geht, dieses verflixte Bett ist hoffnungslos schmal. Ich hoffe, dass er wieder einschlafen wird, und schaue in das tiefe Schwarz auf der anderen Seite der Fensterscheibe. Der Morgen, der noch kein Morgen ist, sondern nur eine lautlos kalte Dunkelheit, die mein kleines Haus umschließt.
Dieses Gefühl. Wir sind einsam auf der Welt. Keine Freunde. Die Klienten sind verschwunden. Die Familie auch. Nur ich und Markus existieren, und mein Bett bildet den Mittelpunkt unseres Universums.
Ist das gut oder schlecht?
Ich höre, wie er sich bewegt, sich auf die Ellbogen stützt. Er rutscht wieder näher an mich heran. Erwacht zum Leben.
Und ich ahne seine Frage, ehe er sie stellt.
»Siri, gibt es etwas, das du … mir erzählen solltest?«
Was soll ich jetzt sagen? Die Wahrheit?
»Du weißt es schon, oder?«
Meine Stimme, dünn, brüchiger als das Eis vor dem Haus.
»Ist das wahr?«
Markus greift in der Dunkelheit nach meiner Hand, und als er sie findet, drückt er sie, hart, hart.
»Ist es wahr, ist es wahr, ist es wahr?«
Er ist jetzt eifrig. Wie ein Kind, das gerade ein Geschenk bekommen hat. Etwas, das geöffnet, untersucht und ausprobiert werden muss.
Es bringt nichts, das Unvermeidliche aufzuschieben.
»Ja, Markus. Ich bin schwanger. Ich möchte das Kind behalten, aber ich … möchte … allein wohnen.«
»Was? Was sagst du da? Wie …? Ich verstehe nicht, was du meinst. Wieso allein?«
»Allein wohnen. Hier im Haus. Was verstehst du daran nicht?«
»Aber was ist mit mir? Ich bin doch … werde doch Vater. Ich versteh das nicht. Wie komme ich dabei ins Spiel?«
Du kommst nicht ins Spiel.
Ich seufze.
»Markus, ich weiß nicht. Ich bin so verwirrt. Weiß nicht, ob ich schon so weit bin, dass ich mit jemandem zusammenwohnen kann.«
»Ach, aber du bist so weit, dass du ein Kind in die Welt setzen kannst? Ohne Vater?«
Er ist außer sich. Kein Wunder, in seinen Augen muss ich das übelste Schwein des Jahrhunderts sein, das verstehe ich ja.
»Es ist doch nicht so, als ob es keinen Vater hätte. Du wirst doch da sein und …«
» WO DENN DA ?«, schreit er und springt aus dem Bett. » WO genau stellst du dir vor, dass ich sein soll? Welche Rolle soll ich in deinem Leben spielen? Im Leben meines Kindes?«
»Bitte, sei nicht so böse. Ich weiß es nicht. Ich kann nichts dafür. Es ist nicht so, dass ich dich nicht liebe. Ich will nur nicht … kann nur nicht … du weißt. Zusammen wohnen.«
»Siri, ich hab es so verdammt satt, immer wieder Rücksicht auf deine Scheißlaunen nehmen zu müssen. Du kannst nicht zusammenwohnen. Du kannst meine Familie nicht treffen. Ich will kein Kind mit dir, wenn ich nicht mitmachen kann. Nach meinen Prämissen.«
»Dann nicht, aber das hast ja nicht du zu entscheiden. Oder?«
Ein in jeder Hinsicht unnötiger Kommentar. Musste ich ihm das wirklich vor den Latz knallen? Dass er einfach machtlos ist vor der Entscheidung, die ich ganz allein getroffen habe.
Mit überraschender Ruhe zieht er sich an. Streckt die Hand nach dem Rucksack aus und geht hinaus in den Flur. Ich kann hören, wie er seine Jacke anzieht. Wie die Tür geöffnet und geschlossen wird. Schritte, die sich entfernen, und das Geräusch, das genauso klingt wie berstendes Glas, als seine Schritte das brüchige Eis um mein Haus zertreten, und ich denke, dass hier vielleicht nicht nur das Eis zerbricht.
Mein Arbeitszimmer. Es ist hell, aber nicht sonderlich wohnlich. Unpersönlich könnte man wohl sagen. Und so will ich es. Meine Klienten treffen die Therapeutin Siri, keine Privatperson, die Pelargonien oder Kelims oder Fotografien liebt. Meine Klienten treffen eine Professionelle. Eine, bei der sie sich ihre Angst von der Seele reden können, ohne diesen Dienst erwidern zu müssen.
In den obligatorischen Sesseln, die mit grauem Lammfell überzogen sind, sitzen Mia und Patrik. Heute habe ich den Holzstuhl genommen, weil ich es nicht ertragen kann, dass Mia noch einmal darauf sitzt, nachdem Patrik den Sessel an sich gerissen hat.
Sie sehen beide erschöpft aus, scheinen keine Energie mehr zu haben. Patriks gewohnt bleiches Gesicht schimmert im kalten Licht der Leuchtröhre in allerlei Nuancen von Weiß und Grün. Wassertropfen funkeln zwischen den
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