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Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Grebe
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dunklen Bartstoppeln. Mia sieht aus, als käme sie direkt aus dem Bett: unförmiger Trainingsanzug, ungewaschene Haare, die in fettigen Strähnen um das blasse Gesicht liegen. Über dem rechten Ohr ein seltsamer Wirbel, als hätte sie lange auf dieser Seite geschlafen und sich nicht gekämmt.
    »Nein, es ist nicht gut. Überhaupt nicht gut.«
    Patrik schüttelt den Kopf. Es ist eine traurige Bewegung. Alle aggressive Energie, die er bei unseren bisherigen Treffen ausgestrahlt hat, ist wie weggeblasen.
    »Können Sie es beschreiben?«
    »Ich weiß nicht«, beginnt Patrik zögernd. »Ich weiß nicht, ob das etwas bringt.«
    Er verstummt und mustert mich mit unergründlichem Blick, die Zähne fest zusammengebissen, wie im Krampf.
    »Und Sie, Mia? Wo sind Sie heute?«
    »Wo ich bin?«
    Mia wirkt verwirrt und begegnet für eine Sekunde meinem Blick, es ist wie in einen Nebel zu schauen. Ich sehe nur feuchte Unförmigkeit, verschleierte Leere, ein Nichts ohne Ende.
    »Was ich meine, ist, was haben Sie heute für ein Gefühl? Wie geht es Ihnen?«
    Sie schweigt eine Sekunde.
    »Es geht gut. Danke.«
    Sie spricht mechanisch und gewollt langsam.
    »Stimmt das wirklich? Wenn ich Patrik richtig verstehe, dann weiß er nicht so recht, wie es mit Ihnen weitergehen soll.«
    Mia gibt keine Antwort, sie schaut aus dem Fenster, und anders als bei unseren bisherigen Treffen sitzt sie ganz still. Nicht eine Bewegung. Kein verräterisches Zucken des Mundwinkels. Keine Schweißperlen auf der Stirn. Sie ist so unbeweglich wie meine Sessel. Ich räuspere mich leise.
    »Mia … ich weiß, dass es Ihnen schlecht gegangen ist, aber es ist ungeheuer wichtig für die Therapie, dass Sie sich Mühe geben, Ihre Gefühle zu vermitteln. Sonst führt das hier zu nichts. Sonst kann ich Ihnen nicht helfen. Ich kann nichts ausrichten, wenn Sie sich auf diese Weise zurückziehen. Verstehen Sie?«
    »Ja … sicher.«
    Mia nickt und schaut zugleich mit diesem leeren Blick weiter aus dem Fenster.
    »Also, wie geht es Ihnen eigentlich?«
    »Es geht … richtig gut, jetzt.«
    Mia spricht langsam und mit gleichmäßiger Betonung, als läse sie für sehr kleine Kinder etwas vor. Als müsste sie jede Silbe betonen.
    »Es ist jetzt also besser als bei unserem letzten Termin?«
    »Sicher.«
    Sie verstummt, und ich warte auf die Fortsetzung. Die Erklärung. Aber die kommt nicht.
    »Also, was ist besser geworden?«
    »Ich finde alles eben einfach gut.«
    Die gleiche feste Stimme. Die gleiche gefühllose Mimik. Der gleiche leere Blick in dem bleichen Gesicht. Plötzlich höre ich ein gedehntes Schluchzen aus dem anderen Sessel. Patrik hat seinen langen mageren Oberkörper vorgebeugt und begräbt den Kopf in den Händen. Die Finger massieren ruckartig die Kopfhaut, und er zittert am ganzen Leib.
    »Verdammt, Mia«, heult er mit Verzweiflung in der Stimme. »Verdammt, ich will doch, dass es läuft. Ich weiß, ich habe Gemeinheiten gesagt. Ich weiß, dass ich dich im Stich gelassen habe. Dir die Verantwortung für die Kinder zugeschoben habe. Aber jetzt kann ich nicht einmal mehr … mit dir reden. Es ist, als ob du ausgestiegen wärst. Ich weiß nicht, wo du bist. Verstehst du?«
    »Hier!« Ich schiebe die Kleenex-Schachtel zu ihm hinüber, aber er sieht und hört mich nicht.
    »Was ist denn nicht richtig an mir? Warum schließt du mich aus? Warum muss es so schwer sein?«
    Ich drehe mich wieder zu Mia, die noch immer in unveränderter Haltung im Sessel sitzt, den Blick auf das Fenster gerichtet, hinter dem es jetzt schwarz ist. Ohne mit einer Miene ihre Gedanken zu verraten, legt sie plötzlich ihre kraftlose Hand auf seine. Und an dieser seltsam mechanischen Geste ist etwas Falsches und Beängstigendes. Wie ein Stück Fleisch ruht ihre Hand bewegungslos auf seiner. Patrik dreht das Handgelenk nach oben und presst ihre Hand.
    »Verdammt, Mia, können wir es nicht noch einmal versuchen? Ich verspreche, dass es diesmal besser wird. Ich werde … dir helfen. Das verspreche ich.«
    Sie streichelt unbeholfen seinen behaarten Handrücken und sagt leichthin: »Ja, das machen wir.«

Markus und ich teilen uns auf den glatten Felsen am Strand ein Glas Wein. Es ist kalt, aber trotzdem windstill, obwohl der Himmel unheilverkündend grau über uns hängt und ich am Horizont bereits große schwarze Wolken erahnen kann. Um dicke Pullover, Jacken und Stiefel haben wir noch Decken gewickelt.
    Da sitzen wir nun, schweigend, und schauen aufs Meer.
    Das Weinglas ruht in Markus’ Hand.

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