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Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Grebe
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und her. Die Füße pendeln wieder langsam in der Luft.
    »Ich … weiß nicht.«
    »Okay, ist schon gut. Dann sag einfach, dass du das nicht weißt. Aber vielleicht kannst du versuchen, ein bisschen an den Onkel zu denken, der Mama geschlagen hat. Hast du gesehen, wie der ausgesehen hat?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Hast du diesen Onkel vorher schon mal gesehen oder getroffen?«
    Wieder windet Tilde sich, als wäre es ihr unangenehm, diese Frage zu beantworten.
    »Ich weiß nicht.«
    »Hat der Onkel etwas gesagt?«
    »Der Onkel und Mama haben geschrien.«
    »Weißt du noch, was sie gesagt haben?«
    Zögern.
    »Die haben ganz viel geschrien.«
    »Konntest du hören, was sie gesagt haben?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Okay, das ist sehr gut, Tilde. Du bist richtig tüchtig. Hast du die Stimme des Onkels erkannt?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Aber du glaubst, dass es ein Onkel war, keine Tante oder ein Mädchen?«
    »Der war … ein Zauberer!«
    »Woher weißt du, dass er ein Zauberer war?«
    Wieder sitzt Tilde stumm und ernst da und mustert Carin wortlos.
    »Warum glaubst du, dass es ein Zauberer war, Tilde?«, fragt Carin noch einmal.
    »Der hat das Gold genommen.«
    »Was hat er genommen?«
    »Das Gold.«
    Pause.
    »Er hat das Geld genommen?«
    »Ja.«
    Ein rascher Blick von Carin, durch das Fenster zu ihnen herüber.
    »War das, bevor er deine Mama gehauen hat oder danach?«
    »Erst hat er Mama gehauen, dann hat er das gemacht.«
    »Erst hat er deine Mama gehauen, dann hat er das Geld genommen?«
    »Ja.«
    Sonja seufzt. Auf Raubmord hätte sie nicht getippt. Dafür war die Gewalt viel zu grob. Aber wenn es so gewesen sein sollte, dann ist es beklemmend. Eine einsame Mutter totgetreten, vor den Augen ihres Kindes, weil ein Junkie dringend seinen Stoff braucht. Es war an sich durchaus vorstellbar, es kam immer wieder vor.
    Roger beugt sich zu Sonja vor und flüstert ganz leise:
    »Nicht schlecht. Der Busch wächst in meinen Augen ein wenig.«
    Und obwohl sie nicht will, muss sie lachen und wird von bedingungsloser Zuneigung zu ihrem hoffnungslosen, faulen, sexistischen Kollegen erfüllt. Sie versetzt ihm einen freundschaftlichen Rippenstoß und schaut vorsichtig zu Tildes Vater hinüber, besorgt, er könnte diesen unpassenden Witz mitgehört haben, aber er starrt nur wie hypnotisiert durch das Fenster des Verhörzimmers, während der Schweiß an seinen Schläfen zu kleinen Bächen anschwillt.

Värmdö, Oktober

Ein perfekter Samstag.
    Langer Spaziergang am Strand. Das Meer, das unsere Füße jagt.
    Dicke Mützen sind jetzt angesagt. Handschuhe. Wollpullover unter den Jacken. Der Himmel über uns grau und schwer wie ein Betonblock. Schwarze Vögel kreisen über unseren Köpfen, als kündigten sie eine Mahlzeit an.
    Danach trinken wir auf meinem Sofa heißen Kakao. Das Feuer im Kamin in der Ecke prasselt, und das Radio läuft. Die Rede ist von Überschwemmungen, ein Teil der E 18 ist weggespült worden, ungefähr wie ein Rindenboot. Zwei Autos wurden mitgerissen. Beide Fahrer umgekommen. Eine Beifahrerin überlebte, weil sie durch ein zerbrochenes Fenster steigen und auf das Dach einer Würstchenbude klettern konnte. Sie hatte schon den Tsunami in Thailand 2004 überlebt und erzählte mit dünner Stimme, das hier sei schlimmer gewesen. Ihr Rune, der nicht mehr aus dem lehmigen Wasser gekommen sei. Nach vierzig Jahren Ehe, und nachdem sie Krebs und Tsunami besiegt hatten, verlor sie also die Liebe ihres Lebens an der E 18 in einer Schlammwelle.
    Ich sehe Markus an, der mir in Jeans und Wolljacke auf dem verschlissenen alten Sofa gegenübersitzt. Sein Gesicht ist so glatt wie das eines Kindes. Die blassen Augen auf unbestimmte Weise beunruhigt. Ich frage mich, ob ich es wage, ihn so dicht an mich heranzulassen, dass es mich verletzen kann.
    So verletzen wie die Frau im Radio.
    »Alles in Ordnung bei dir?«, fragt er leise in seinem singenden Norrländisch, und ich lege meine Füße auf seine Knie. Langsam massiert er meine Fußsohlen, mustert mich schweigend.
    »Klar geht’s mir gut.«
    »Ich wünschte, du würdest dich nicht mit so was beschäftigen.«
    »Mit so was?«
    »Ja, Gewalt und solchem Dreck. Wie ich das den ganzen Tag mache.«
    »Was soll ich denn sonst tun? Nur Spinnenphobien und Kleptomanen behandeln? Diese Frauen brauchen wirklich Hilfe. Und wir helfen, Aina und ich. Und Vijay, Herrgott, der widmet dem doch sein ganzes Leben.«
    »Aber dieser Vijay wirkt gestörter als der Durchschnitt.«
    »Meinst du den

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