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Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Grebe
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Er lässt es langsam rotieren, wie um es zu kosten. Markus trinkt selten, aber ich ahne, dass er den Wein heute braucht, stelle mir vor, dass er sich auf das Weinglas stützen will wie auf eine Krücke. Er räuspert sich und stellt das Glas vorsichtig in einen mit braunen Tannennadeln gefüllten Felsspalt.
    Ich selbst schaue in das schwarze Wasser hinunter, sehe die längst vergilbten Blätter, die am Rand der Felsen kleben, ahne den glatten Tang wie eine giftig grüne Bewegung unter dem schwarzblanken Wasserspiegel, stelle mir die Reise der Fische dort unten vor, in einem alten und finsteren Universum ohne Ende.
    Stefan, mitten in dem Kalten. Sein Kopf auf einem Kissen aus verworrenem Tang. Neugierige Meereswesen, die den bleichen weichen Körper untersuchen. Mit Fühlern vielleicht oder Saugnäpfen oder so?
    Die ihn kosten, vielleicht?
    Schluss jetzt. Das reicht.
    Stefan, immer da. Obwohl die Zeit vergeht, die alle Wunden heilt.
    Ich bin die Psychologin, die anderen dabei helfen soll, ihr Leben in den Griff zu bekommen, die aber die eigene Vergangenheit nicht loslassen kann. Ich sei menschlich, sagt Aina. »Wie jeder andere Mensch. Unvollkommen. Schwach. Hilflos.«
    »Ich muss dir eine Frage stellen«, sagt Markus und schaut mich mit müden Augen an. »Ich meine, ich muss das wirklich wissen.«
    »Was?« Meine Stimme ist heiser und kraftlos, bleischwer vor Schuld.
    »Hast du mich je geliebt ? Wirklich?«
    »Aber Markus, was für eine verdammt seltsame Frage. Du musst doch wissen, dass ich dich liebe. Und warum redest du im Imperfekt?«
    Markus hat jetzt die Stirn gerunzelt. Er glaubt mir nicht.
    »Das sagst du, ja.« Er verstummt. »Aber …«
    »Aber was?«
    »Aber ich frage mich, ob du weißt, was Liebe ist.«
    Ich rutsche unbehaglich hin und her. Mag diese Diskussion nicht, bleibe aber, Markus zuliebe.
    »Wie meinst du das? Wieso soll ich nicht wissen, was Liebe ist?«
    »Ich meine das eben. Ob du mich wirklich liebst. Wie ich dich liebe. Dann würdest du mir das nicht antun. Mir mein Kind wegnehmen und …«
    »Aber hör doch auf. Ich nehme dir doch kein Kind weg. Es ist doch ebenso deins wie meins. Ich will nur allein wohnen. Wie ich es jetzt tue. Wie wir es jetzt tun. Das ist alles. Nicht mehr und nicht weniger.«
    Ich kann sehen, dass Markus so hart an den Fransen der Decke zieht, dass seine Finger weiß werden. Als er jetzt redet, ist seine Stimme ein leises Zischen.
    »Du würdest mir das nicht antun, wenn du mich liebtest. So, wie ich dich …«
    »Na gut, dann eben nicht. Vielleicht liebe ich dich auf meine Weise. Darf ich das nicht? Warum ist nur deine Weise die richtige? Und warum kann nicht alles sein wie immer? Warum können wir nicht so weitermachen … und …«
    »Und was? In einem Vakuum leben? Zusammen sein und zugleich Single? Zusammenwohnen und gleichzeitig getrennt? Alles auf einmal sein, was dazu führt, dass wir eigentlich … nichts sind? Man muss sich entscheiden. Siri. Sich nicht zu entscheiden, ist auch eine Entscheidung.«
    »Na gut«, sage ich.
    »Was, na gut?«, sagt Markus.
    »Ich habe mich jedenfalls entschieden.«
    Noch ehe sein Ausbruch einsetzt, sehe ich es ihm an, sehe die krampfhaft zusammengebissenen Kiefer, die Röte, die sich auf seiner sonst so blassen Haut ausbreitet, wie er aufspringt, starr, aber vollständig unter Kontrolle.
    »Du bist doch verdammt noch mal total gestört. Ich hasse dich! Ich wünschte, wir wären uns nie begegnet. Du hast mein Leben zerstört. Ist dir das klar? Ist dir das klar?«
    Seine Worte sind wie ein Schlag ins Zwerchfell, sie rauben mir den Atem, mir wird schlecht. Ich drehe mich instinktiv von ihm weg. Zum Meer hin, das still und unendlich kraftlos vor meinen Füßen liegt. Mich willkommen heißt. Mir eine Art Frieden einflößt.
    »Du bist ja total … hart! Hast du denn überhaupt keine Gefühle? «,brüllt er mir ins Ohr.
    Ich rolle mich zu einem Ball zusammen, wie ein kleines Kind, das versucht, einem Schlag auszuweichen. Aber es kommt kein Schlag. Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie er die karierte Decke auf die dunkle Wasseroberfläche wirft. Sie flattert wie ein Blatt im leichten Wind, bleibt auf dem Wasserspiegel liegen, bewegt sich ein wenig, dann fängt sie an zu sinken.

Auszug aus dem Bericht der Schulpsychologin,
Unter- und Mittelstufenschule Älvängen
    In der Klasse 5b gehen die Schwierigkeiten mit dem Jungen weiter, die schon bei der letzten Besprechung angesprochen wurden. Der Junge fehlt oft, und wenn er zur Schule kommt,

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