Das Trauma
war doch nicht so gemeint, habe ich gesagt. Wirklich nicht. Es war nur ein blöder Spruch. Können wir das jetzt vergessen?«
Sie verschränkt defensiv die Arme vor der Brust.
Aina schaut mich fragend an, und wieder verspüre ich diese Ohnmacht, weiß nicht, wie ich mich verhalten soll.
»Ich weiß, Sie haben ja Recht, die Polizei arbeitet an dem Fall, aber es ist so schrecklich, und ich hab solche Angst …« Kattis verstummt und schüttelt langsam den Kopf, und Hillevi, die neben ihr sitzt, beugt sich zu ihr hinüber.
»Das kommt schon in Ordnung. Sie werden sehen, das kommt in Ordnung.« Sie lächelt Kattis beruhigend zu, dann schaut sie rasch zu Malin hinüber.
Ich ahne etwas Düsteres und Fragendes in ihrem Blick. Aber ihre sanfte Stimme klingt so ruhig, so sicher, dass ich merke, dass ich ihr wirklich glaube. Vielleicht kommt wirklich alles in Ordnung. Vielleicht war Malins Spruch nur eine Art Missverständnis, vielleicht wird Henrik heute festgenommen, vielleicht werden wir alle wieder sicher, stark und glücklich werden.
Vielleicht ist das wirklich möglich.
Kattis seufzt und schaut aus rotgeränderten Augen zur Decke.
»Na, ich glaube schon, dass sie ihn bald schnappen.« Sirkkas raue Stimme, zögernd, vorsichtig. »Alles andere wäre doch falsch. Es wäre ganz einfach nicht richtig.« Sie seufzt tief und schaut ihre Hände an, reibt die verkrümmten Finger aneinander.
»Ich habe in der Zeitung gelesen, dass sie so übel zugerichtet war, dass sie kaum identifiziert werden konnte. Wie kann man so etwas tun? Und ihre Tochter? Also, die hat doch alles gesehen.«
Sofie schaut uns an, sucht nach Erklärungen, die es nicht gibt. Ich wünschte, ich könnte etwas Kluges sagen. Könnte wie eine würdige Vertreterin der Erwachsenenwelt auftreten. Ich weiß, dass Sofie vor dem Gesetz erwachsen ist, aber es fällt mir schwer, sie anders zu sehen denn als Kind. Sie zieht sich in sich zusammen, wie sie da auf dem Stuhl sitzt, und ich will sie nur in den Arm nehmen, sie beschützen, versprechen, dass ihr nichts Schlimmes passieren kann.
»Ich finde es auch unmöglich, aber ich begreife nicht, wieso Sie alle so sicher sind, dass es Henrik war?« Malin schaut sich um und sieht gereizt aus. »Klar, es klingt am wahrscheinlichsten, aber … wir wissen es doch nicht. Ich meine nur, es ist doch nicht immer alles so, wie es aussieht.«
»Aber was ist denn daran so schwer zu verstehen?« Kattis dreht sich zu Malin um. Sie sieht ruhig aus, aber ihre Stimme ist scharf, und ich ahne ihre Wut, als sie jetzt sagt:
»Dieser verdammte Kerl hätte mich fast umgebracht. Er ist zu allem fähig. Ab und zu sind die Dinge einfach so, wie sie aussehen. Er war mit ihr zusammen, er misshandelt Frauen, sie stirbt. So schwer ist das doch nun wirklich nicht.«
»Ich meine nur, wir dürfen niemanden verurteilen, solange wir nicht alle Tatsachen kennen. Niemanden ungehört verurteilen. Ich will nicht kleinreden, was er Ihnen angetan hat. Es tut mir leid, wenn es so ausgesehen hat.«
Malin hebt abwehrend die Hände, und es ist deutlich, dass sie den drohenden Konflikt verhindern will.
»Egal, wer es getan hat, es ist furchtbar. Und es macht mir Angst. Angst, dass mir oder einer von euch auch so etwas passieren könnte. Aber das Wichtigste ist jetzt doch, dass wir hier sind … dass wir versuchen, an unserem eigenen Leben etwas zu ändern.«
Hillevi lächelt die anderen in der Gruppe vorsichtig an, und ich denke mir, dass sie gerade die Rolle der Mutter der ganzen Kompanie übernommen hat. Die, die alles ausgleicht und bei Konflikten vermittelt. Dafür sorgt, dass alle sich wohlfühlen. Und ich frage mich, wer sich um sie kümmern soll.
Wann kann Hillevi klein und schwach sein?
Aina schaltet sich ins Gespräch ein.
»Ich glaube, Hillevi hat ausgesprochen, was wir alle jetzt empfinden. Angst. Aber ich glaube, Sie haben etwas Wichtiges gesagt. Wir können das, was passiert ist, nicht ändern, aber wir können unser eigenes Leben beeinflussen. Und das ist der eigentliche Grund, aus dem wir uns hier sehen. Wir wollen einander helfen, Werkzeuge zu finden, den verlassen zu können, der Gewalt ausgeübt hat. Um Selbstzweifel und Ohnmacht und Verachtung loszulassen, einander die Kraft zu geben, weiterzukommen.«
Aina strahlt, als sie das sagt. Ihre Haare funkeln im Schein der Lampe, und ihre Augen sind blank. Ich staune. Aina ist keine, die Brandreden hält, aber ihr Engagement kommt mir echt vor. Es gibt offenbar Seiten an ihr, die ich
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