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Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Grebe
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ich nicht verstehe, ist, warum Henrik hier ist. Um Kattis etwas anzutun, vielleicht, aber warum? Warum nicht heimlich, warum will er sich hier über sie hermachen? Öffentlich?
    »Ihr müsst mir zuhören!« Henrik fängt meinen Blick ein. Fleht um Bestätigung.
    »Wir werden zuhören. Sie können erzählen.«
    Aina spricht jetzt wieder mit ihrer sanften ruhigen Stimme.
    »Ihr müsst das verstehen. Sie ist verrückt! Versteht ihr? Verrückt.«
    Henrik zeigt mit dem Metallgegenstand auf Kattis. Sie kehrt ihm ihr Gesicht zu, begegnet seinem Blick, sieht nackt aus. Verletzlich. Verzweifelt.
    Aber nicht ängstlich.
    »Sie ist nicht so, wie sie tut«, nuschelt er jetzt. »Ich habe sie nie angefasst. Versteht ihr? Ich habe sie nie … geschlagen. Das schwöre ich bei Gott. Ich habe nie die Hand gegen eine Frau erhoben. Versteht ihr? Sie ist hier … das Monster. Das mich verfolgt. Sie ist verrückt und wird auch euch manipulieren. Und ihr …«
    Plötzlich lacht er auf. Zuerst kommt ein kleines ersticktes Kichern, aber es wächst zu einem richtigen Lachen heran, laut, hemmungslos steigt es auf und füllt das ganze Zimmer.
    »Sie hat euch schon an der Nase herumgeführt. Versteht ihr?« Wieder lacht er so sehr, dass er kaum sprechen kann, so sehr, dass er sich vorbeugen und die Arme auf die Knie stützen muss. »Versteht ihr? Sie hat schon … ihr seid darauf reingefallen, ihr alle. Verdammt, es ist doch nicht wahr. Sie hat schon … Versteht ihr?«
    Dann verhallt sein Lachen, und es ist wieder still im Zimmer. Keine sagt etwas, und Henrik weiß offenbar auch nicht, was er machen soll. Er sieht Kattis an, und als er jetzt weiterspricht, scheinen seine Worte sich an sie zu richten, nicht an uns andere, wir sind nur Statistinnen.
    »Susanne ist tot. Ich habe sie geliebt. Ich liebe sie immer noch. Und jetzt ist alles kaputt, du Scheißhure. Bist du jetzt zufrieden?«
    Schluchzen. Seine Trauer und sein Schmerz, so stark und greifbar.
    »Du hast mein Leben zerstört.«
    Seine Stimme ist nur ein schwaches Flüstern, und ich kann die Spülmaschine hören, die in der Teeküche brummt, und die Autos, die durch den Regen auf der Götgata brausen. Die Zeit scheint den Atem anzuhalten. Auf der großen Uhr an der Wand schleichen die Zeiger langsam vorwärts. Das Geräusch von Sekunden, die verstreichen, hallt im Raum wider. Keine bewegt sich. Keine sagt etwas.
    Henrik hat einen Stuhl herangezogen und sich gesetzt. Atmet schwer, wischt sich mit dem Unterarm seiner Daunenjacke Tränen und Rotz aus dem Gesicht, die Jacke knistert, wenn er sich bewegt. Die Waffe ist jetzt deutlich zu sehen. Ich habe keine Ahnung von Waffen. Weiß nicht, ob es eine Pistole oder ein Revolver ist. Nicht, welche Sorte und welches Kaliber. Ich denke an Markus, an seine Dienstwaffe, die er hütet wie ein Baby und die ich nicht einmal anfassen darf. Die den Dienstvorschriften gemäß eingeschlossen werden muss.
    Ich weiß nicht, was Henrik für eine Waffe hat, aber ich weiß, welches Potenzial sie besitzt, zu verletzen. Zu töten.
    Er sieht müde aus. Als wäre sein Leben bereits zu Ende. Bilder von einem Geiseldrama jagen durch meinen Kopf. Tote und Verletzte. Täter, die Selbstmord begehen. Polizeiliche Sondereinheiten, die angefordert werden, um den Geiselnehmer zur Vernunft zu bringen. Die ruhig sprechen, Kontakt aufnehmen, eine Person werden.
    Aber ehe Polizei kommt, muss jemand wissen, dass wir hier sind. Dass Henrik hier ist. Doch das weiß niemand. Heute haben wir keine weiteren Termine. Sven hat sich freigenommen, um in sein Sommerhaus zu fahren und, nehme ich an, rückfällig zu werden.
    »Warum, Kattis? Und was zum Teufel machst du hier, bei diesen Weibern?«
    Henrik schaut sich abermals um und hebt die Waffe. Sofie schluchzt auf und drückt sich fester an Hillevi.
    »Wie können wir Ihnen helfen, Henrik? Wir wollen Ihnen helfen. Sagen Sie, was Sie brauchen, damit alles gut wird. Wir hören Ihnen zu.«
    Aina wieder. Ruhig. Sicher. Auf den ersten Blick verrät nichts, dass sie Angst hat oder sich Sorgen macht.
    »Ihr müsst einfach verstehen, dass sie verrückt ist und immer lügt. Nichts, was sie sagt, ist jemals wahr. Sie ist schlecht!«
    Den letzten Satz brüllt Henrik. Ainas Versuch, ihn zu beruhigen, scheint nicht zu helfen. Henrik ist an einem anderen Ort, in einer anderen Wirklichkeit. Plötzlich steht Kattis auf. Streckt Henrik ihre Hände entgegen.
    »Es tut mir leid, Henrik. Alles ist meine Schuld.«
    Kattis’ ausdrucksloses Gesicht, bleiche

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