Das Trauma
verlassen aus. Kattis, die in einer anderen Ecke steht und mit einem Polizisten spricht. Ihr Gesicht ist weiß, und ihre Bewegungen haben etwas Starres und Ruckhaftes. Ich gehe davon aus, dass sie unter Schock steht.
Plötzlich legt mir jemand die Hand auf die Schulter. Ich fahre instinktiv zusammen. Mein Körper läuft noch immer auf Hochtouren. Sendet Signale aus und fordert zu Kampf oder Flucht auf. Ich drehe mich um, und da steht Markus, in Jeans und ausgebeulter Kapuzenjacke.
»Ich habe es gehört. Ich habe von dem Schuss in einer psychologischen Praxis am Medborgarplatz gehört. Ich bin so schnell ich konnte hergefahren. Ich dachte, du wärst es …«
Er schüttelt sich und wendet sein Gesicht ab, wie um seine Gefühle zu verbergen.
»Verdammt, Siri, ich dachte, du wärst es …«
Ich sage nichts. Lasse mich einfach von ihm in den Arm nehmen, wie ein kleines Kind wiegen, fingere an seinem Sweatshirt herum, befühle den genoppten Stoff. Sauge Markus’ Duft in mich ein, der so vertraut wirkt und Geborgenheit zu schenken scheint.
»Markus, verdammt, ich bin so froh, dass du hier bist!« Aina steht neben uns. Ihr Gesicht ist rot und von Wimperntusche verschmiert. Sie weint, scheint das aber selbst nicht zu wissen.
»Weißt du etwas? Über Hillevi?« Sie starrt Markus gespannt an, und ich lasse ihn los. Ich will ihn nicht loslassen, weiß aber, dass ich das tun muss. Ich trete einige Schritte zurück und sehe ihn an. Suche nach Hinweisen.
»Ich weiß nichts, oder genauer gesagt, ich weiß nur, was ich über Funk gehört habe. Eine angeschossene Frau. Der Täter auf freiem Fuß, vom Tatort geflohen.«
»Wo ist er?«
Ich blicke mich um. Erinnere mich daran, wie Henrik gleich nach dem Schuss ausgesehen hat. Sein Gesichtsausdruck wie der eines soeben aufgewachten Kindes. Wie er die Waffe angeschaut hat, fast überrascht. Als wäre es ein neues Spielzeug, dessen Bedienung er soeben erst verstanden hatte.
Und Hillevi.
Sie lag auf dem Rücken über dem Tisch, wie ein Tier auf der Schlachtbank. Ihre groben, aber sehr kleinen Herrenstiefel, die frei in der Luft baumelten, gleich über dem Fußboden, und das schwarze Kleid, das zerrissen war und ein kleines, mageres Hinterteil entblößte.
Sie sah aus wie ein Kind.
Sirkka beugte sich über sie, versuchte, mit runzligen, blutüberströmten Händen den Blutstrom aufzuhalten.
Blut.
Überall dieses Blut, das auf den Boden strömte, wo es die sandfarbene Sisalmatte dunkelrot färbte.
»Wir haben ihn noch nicht gefunden, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Wir kriegen ihn.«
Aina sieht Markus an. Versucht, ihn sehen zu lassen, was wir gesehen haben. Zu erklären, was sich nicht erklären lässt.
»Wir müssen uns um sie kümmern.«
Ich zeige auf Sirkka, Malin und Sofie, die noch immer auf ihren Stühlen sitzen. Erstarrt, vergessen.
»Gleich kommen Krankenpfleger und Polizisten, die werden das übernehmen. Sie sind Zeuginnen, sie werden schon versorgt. Und ihr auch, auch um euch kümmern wir uns.«
Markus wirkt jetzt ruhiger. Für ihn ist das ein Heimspiel. Tatorte und Katastrophen sind sein Alltag.
»Hillevi. Du musst feststellen, was mit Hillevi ist.«
Aina schaut Markus an. Fleht. Markus nickt und geht hinüber zu einem Mann, der eine Art Führerrolle zu spielen scheint. Sie reden eine Weile miteinander, und ich sehe, dass Markus sich zu uns umdreht. Vielleicht erklärt er, wer Aina und ich sind. Der Mann redet und nickt. Seine Bewegungen und seine Miene verraten nichts. Ich kann nicht erraten, was er zu sagen hat oder wie es um Hillevi steht. Markus kommt zu uns zurück. Ich suche seinen Blick und finde nichts. Nur das Neutrale, das Professionelle. Ich weiß nichts, sehe nichts, kann nichts ahnen.
Markus lotst uns durch das Zimmer und in die leere Teeküche. Wir sinken auf die Küchenstühle. Meine Hände zittern. Ich kann ihren Anblick nicht ertragen. Ich weiß nicht, warum, aber plötzlich bin ich entsetzlich müde, und ich kann diese zitternden Hände nicht sehen, die Erinnerung daran, was wir durchgemacht haben. Was ich nicht an mich heranlassen kann.
»Hillevi wurde im Bauch getroffen.« Markus sieht uns an, wie um sich zu vergewissern, dass er wirklich die Wahrheit sagt. Dass es mit dem übereinstimmt, was wir gesehen haben.
Aina deutet ein Nicken an.
»Sie hat aus dem Bauch geblutet, furchtbar stark. Niemand kann so viel Blut verlieren, ohne …«
»Sie hat durch die Schussverletzung sehr viel Blut verloren. Das stimmt.«
Markus räuspert
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