Das Trauma
Rückenschmerzen. Immer gab es eine gute Erklärung. Es war so, als ob Mama auf seiner Seite wäre. Dass sie beide gegen mich waren, sozusagen. Ich kam mir vor wie irgendein kleines Gör, das hereinplatzt und ihre wunderbare Liebe stört. Meine eigene Mutter fand ihren Typen … wichtiger als mich.«
»Liebes Kind!« Sirkka reibt sich mit den runzligen Händen über das Knie und schüttelt so heftig den Kopf, dass ihre dünnen roten Haare sich für einen Moment von ihren Schultern heben. »War Ihnen nicht klar, dass das … falsch war? Es ist doch gegen die Natur, sein Kind zu schlagen.«
»Ist es das?« Sofie erwidert Sirkkas Blick, ohne auszuweichen. »Vielleicht ist das gerade die Natur?«
»Wie meinen Sie das?« Sirkka sieht ehrlich verwirrt aus.
»Ich meine … ich denke oft, dass das wie bei den Löwen ist.«
Sofies Stimme bricht und ist plötzlich nur ein Flüstern.
»Den Löwen?«, fragt Aina.
»Ja, ihr wisst doch, wenn ein Löwe eine neue Löwin findet, bringt er immer ihre Jungen um. Ja, die, die sie von einem anderen Löwen hat. Und ich denke oft, dass es so ist. Ich bin nicht sein Kind. Er stößt mich ab. Das ist … die Natur.«
Es wird still im Raum. Sofie starrt den Linoleumboden an, ohne etwas zu sagen, aber ich glaube, ein leises Schluchzen zu hören.
»Also, Sofie, was ist dann passiert?«, fragt Aina mit sanfter Stimme.
»Ja … Anders hat dann immer mehr getrunken. Er hat immer viel getrunken, Mama und Anders hatten immer eine Menge Feste und so, aber es wurde also immer mehr. Und je mehr er trank, desto wütender wurde er. Und immer war alles meine Schuld. Dann hat er angefangen, mich richtig zu schlagen.«
Sofie verstummt. Ihre Augen glänzen, und ihr Gesicht ist angespannt und starr. Und doch ist der Schmerz zu sehen. Ihr Bericht macht die ganze Gruppe betroffen. Dass ein Mann seine Frau schlägt, ist falsch, aber ein Kind zu schlagen, widerspricht unseren innersten Instinkten. Ich kann sehen, wie Sirkka sich diskret die Augen wischt, wie Malin langsam die Faust ballt und öffnet, wie um sich gleich über Sofies Stiefvater herzumachen.
Und Hillevi. Hillevi lässt Sofie nicht aus den Augen. Ihr Gesicht ist ernst. Bleich. Sehr langsam nickt sie, als hätte sie plötzlich etwas begriffen.
»Er hat mich so hart gestoßen, dass ich die Treppe hinuntergefallen bin und mir den Arm gebrochen habe. Weil ich an einem Samstagabend zu spät nach Hause gekommen bin. Er war wütend, wenn ich meinen Freund getroffen habe, Viktor. Hat Viktor als Versager bezeichnet, ich sollte mir einen Besseren suchen. Nicht so einen Streuner aus dem Vorort. Aber das Schlimmste war nicht, dass er mich geschlagen hat oder dass ich mir den Arm gebrochen habe oder dass er mich Hure genannt hat. Das Schlimmste war, dass meine Mutter immer zu ihm gehalten hat. Dass sie ihn entschuldigt hat. Dass es immer eine gute Erklärung dafür gab, dass er sich so verhielt. Ganz ehrlich, dass er mich geschlagen hat, ist mir scheißegal, aber dass meine Mama mich im Stich gelassen hat …«
Sofie verstummt und sieht Hillevi an.
»Und deshalb müssen Sie ihn verlassen. Ihren Kindern zuliebe. Sie müssen wissen, dass Sie ihre Mama sind. Dass Sie zu ihnen halten. Dass Schlagen nicht richtig ist. Also. Das wollte ich nur sagen.«
Hillevi streckt langsam den Arm nach Sofie aus. Ihre Wangen sind bleich, fast weiß. Die Augen voller Tränen. Sie berührt sanft Sofies Hand.
»Ich habe verstanden, Liebes. Ich habe verstanden, und ich verspreche, dass ich meine Kinder niemals im Stich lassen werde.«
Ein leises Klopfen an der Tür zerreißt das fast hypnotische Gefühl, das jetzt den Raum erfüllt. Elin öffnet die Tür und schaut durch den schmalen Türspalt.
»Ach, hallo alle!«
Elin sieht verwirrt aus, und Aina und ich tauschen diskret einen Blick. Aina verdreht die Augen, und ich muss mir in die Wange beißen, um nicht loszukichern. Elin ist wirklich lieb, aber sie hat einfach keinen Durchblick. Sie muss doch wissen, dass wir zu tun haben, dass wir mitten in einer Sitzung sind und dass diese Zeit heilig ist.
Es gibt keinen akzeptablen Grund für diese Störung. Oder fast keinen.
Jetzt steht Elin unschlüssig in der Tür und scheint nicht zu wissen, was sie tun soll. Ihre wilde Mähne hat sie diesmal sorgfältig hochgesteckt und ihr Gesicht wie üblich im bleichsten Weiß und im schwärzesten Schwarz bemalt.
»Also, hier ist so ein Typ. Der reinwill.«
Sie schaut sich um, sieht bedrückt aus, und ich sehe hinter ihr einen
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