Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Grebe
Vom Netzwerk:
nicht kenne, nach all den Jahren nicht. Als spüre sie meinen Blick, schaut sie in meine Richtung und lächelt, sekundenschnell.
    »Wir werden weiter darüber sprechen, welche Hilfen die Gesellschaft misshandelten Frauen anbietet. Siri wird später mehr darüber erzählen, aber zuerst wollte ich Sie fragen, ob eine von Ihnen noch etwas auf dem Herzen hat, was unser Treffen von letzter Woche angeht.«
    Ainas Blick wandert an den Frauen im Kreis vorbei. Alle schweigen, dann zeigt Sofie plötzlich auf. Diese Geste ist kindlich und rührend. Ihre Jugend und Verletzlichkeit sind plötzlich so greifbar.
    »Ja, bitte, Sofie.«
    Aina lächelnd aufmunternd, und Sofie scheint Anlauf zu nehmen. Sie lässt die Hand, die vor Nervosität und Anspannung zu zittern scheint, langsam sinken. Ihr Gesicht ist milchweiß, aber ihre Wangen haben fiebrige Rosen bekommen. Auf ihrer Stirn funkeln Schweißperlen wie winzig kleine Edelsteine in einem Diadem.
    »Ja, also … das, worüber wir vorige Woche gesprochen haben. Was Hillevi erzählt hat. Über ihre Kinder. Ich möchte Hillevi etwas sagen.«
    Hillevi schaut Sofie aufmerksam an, spürt offenbar deren Nervosität und Angst und nickt langsam. »Ich möchte gern hören, was Sie zu sagen haben, Sofie. Bitte, sagen Sie es.«
    Die Kinderärztin, die Mutter von drei Kindern, beugt sich vor und hört der Achtzehnjährigen mit großem Respekt zu, und ich denke plötzlich, dass wir hier alle gleich sind. Es spielt keine Rolle, welche Stellung wir im normalen Leben bekleiden. Welche Arbeit wir haben. Welche Ausbildung. Wo wir wohnen. Hier ist nur wichtig, was uns verbindet, was uns vereint. Nicht, was uns trennt.
    »Also, Sie haben von Ihrem Kind und Ihrem Mann erzählt. Dass er Ihren kleinen Sohn geschlagen hat …« Sofie wagt es nicht, Hillevis Blick zu erwidern, sie starrt auf den leeren Notizblock, der vor ihr auf dem Tisch liegt. »Bei mir war das so. Also, mein Stiefvater hat mich geschlagen. Er hat mich immer geschlagen. Solange ich zurückdenken kann.«
    Wieder nickt Hillevi, und Aina murmelt etwas Aufmunterndes. Sofie schluchzt auf und redet weiter.
    »Meine Mutter und er waren immer so verliebt. Sie sind so verliebt. So bin ich aufgewachsen, sozusagen mit dem Bild von meiner Mutter und meinem Stiefvater, wie zwei … Märchengestalten. Mama hat immer erzählt, wie sie und Anders sich kennengelernt haben, in einem Café in der Stadt. Wie er zu ihr kam, als sie da saß und las und ich im Kinderwagen lag, und wie er ein Gespräch mit ihr angefangen hat. Wie sie sich verliebt haben. Sofort. Peng. Liebe auf den ersten Blick. Sie sind sofort zusammengezogen. Sie sind von der Sorte, die sich immer anfassen müssen, noch immer, und dabei sind sie schon seit siebzehn Jahren zusammen.«
    »Ach, aber warum sind Sie dann hier? Wenn alles nur Friede, Freude, Eierkuchen ist?« Malins Stimme ist sarkastisch, gemein, und ich zucke überrascht zusammen. Ehe ich reagieren kann, hat Aina sich zu Malin umgewandt. Ich sehe, dass Aina nur leicht die Augenbrauen hebt und dass Malin sofort ihr Gesicht wegdreht und sich leise murmelnd bei Sofie entschuldigt. Für einen kurzen Moment frage ich mich, was eigentlich mit Malin los ist. Ich denke, dass ich nach der Sitzung mit ihr sprechen muss. Ich muss versuchen, herauszufinden, warum sie sich so verhält.
    »Genau das versuche ich ja zu erklären.« Sofie klingt verärgert über diese Unterbrechung. »Jedenfalls ist Anders ziemlich oft wütend. Aber er ist nie wütend auf Mama. Sie ist sein Engel. Er würde sie niemals anrühren oder so. Aber er wird wütend auf mich. Ich weiß nicht, wie alt ich war, als er mich zum ersten Mal geschlagen hat. Auf irgendeine Weise kommt es mir so vor, als ob er mich immer geschlagen hat. Ich habe lange geglaubt, dass alle Väter ihre Kinder schlagen. Dass das eben so ist. Erst in der Schule, als wir gehört haben, dass es gesetzlich verboten ist, Kinder zu schlagen, habe ich begriffen, dass man das nicht darf. Er hat nicht so hart geschlagen. Es war eher eine Ohrfeige oder ein Klaps. Wenn ich zu spät kam oder nicht aufgeräumt hatte oder meine Aufgaben nicht gemacht hatte. Mama sagte dann immer, aber Anders, lass Sofie in Ruhe, aber sie hat nie etwas unternommen. Nicht versucht, ihn daran zu hindern oder so. Sie hat es einfach geschehen lassen, hat es so weitergehen lassen. Sie hatte immer eine Erklärung dafür, warum er geschlagen hat. Anders hat es gerade schwer, er hat Stress im Beruf. Anders ist müde. Anders hat

Weitere Kostenlose Bücher