Das Trauma
verloren gegangen. Vielleicht beruht das auf meiner Beziehung zu Markus. Vielleicht haben wir unsere Freundschaft einfach nicht gehütet. Vielleicht hat die Zeit sie ein wenig verschlissen, ihr eine andere Form gegeben.
Ich strecke die Hand nach einer der Servietten aus, die auf dem Tisch durcheinanderliegen. Der Aufdruck stellt eine Mittsommerstange dar. Verblüfft halte ich sie ihr hin, ehe ich mir die Nase putze.
»Vielleicht solltest du die Küche neu dekorieren?«
Aina lacht.
»Ach, Carl-Johan hat die vorige Woche mitgebracht. Weiß nicht, woher er diesen ganzen Kram nimmt.«
»Carl-Johan«, ich koste diesen Namen aus. »Mit dem triffst du dich doch jetzt schon eine ganze Weile, oder?«
Aina rutscht auf dem Stuhl hin und her und sieht plötzlich verlegen aus.
»Doch, glaub schon.«
»Gibt es etwas, das du mir erzählen möchtest?«
»Das nun wirklich nicht.«
Ainas Männergeschichten sind legendär. In ihrem Leben gibt es immer neue Männer. Im Laufe der Jahre habe ich sie kommen und gehen sehen. Junge und alte, langhaarige und kahlköpfige, bärtige und glattrasierte. Müllkutscher und Direktoren. Schweden und Ausländer. Aina diskriminiert nicht, sie scheint nach Vielfalt zu streben. Gerade deshalb wundert es mich, dass sie noch immer mit diesem Typen zusammen ist. Der hätte doch schon längst abgehakt sein sollen.
»Du bist doch nicht …?«
Sie macht eine abwehrende Handbewegung.
»Natürlich nicht.«
Aber ihr Blick weicht meinem aus, und ihre Wangen glühen.
»Verdammt.« Sie seufzt tief. »Müssen wir über meine Ficks reden? Schließlich ist Hillevi tot.«
Wir denken schweigend darüber nach, während der Tee in den großen Keramiktassen kalt wird.
»Sie können natürlich allein herkommen, wenn Sie über Dinge reden wollen, die Sie nicht zur Sprache bringen möchten, wenn Mia dabei ist. Das braucht nichts mit Ihrer Beziehung zu tun zu haben. Es kann sich auch um etwas drehen, das Sie für sich alleine angehen wollen.«
Patrik und ich haben uns zu einem Gespräch getroffen. In den letzten Tagen bin ich nicht oft zum Arbeiten gekommen, was unter den gegebenen Umständen vielleicht kein Wunder ist. In meinen Träumen bin ich es, nicht Sirkka, die sich über Hillevi beugt und versucht, das Blut aufzuhalten, das aus ihrem Bauch quillt. Meine Hände stecken halb in ihrem pulsierenden, noch immer warmen Körper. Und gerade in dem Moment, in dem mir aufgeht, wie hoffnungslos die Lage ist, wache ich auf, in Schweiß gebadet, die Decke wie eine Schlange um meine Taille gewickelt.
Patrik, der mir gegenübersitzt, seufzt tief und verschränkt die Arme vor der Brust. Sein ganzer langer Leib bebt vor Frustration.
»Sicher, aber ich bin doch nicht der, der Probleme hat.«
»Ihre Beziehung steht kurz vor dem Kentern, aber das ist kein Problem für Sie?«
»Aber was ich meine, ist, dass es nicht meine Schuld ist.«
»Wir können uns also zumindest darauf verständigen, dass Sie ein Problem haben?«
Patrik seufzt tief und demonstrativ, während er sich zugleich mit geübter Bewegung einen Priem unter die aufgeplatzte Oberlippe schiebt und sich die Hand an der feuchten Jeans abwischt. Er schaut aus dem grauen Fenster, heute regnet es wieder. Ein feiner, aber ausdauernder Regen, den die Windstöße ab und zu um die Hausecken jagen.
Ich kann Patriks regenfeuchten Wollpullover riechen und werde plötzlich an die Gerüche meiner Kindheit erinnert, schneeballfeuchte Fausthandschuhe, schweißfeuchte Wollunterwäsche, die nach dem Skilaufen ausgezogen werden sollte. Weißweingeknutsche an einem dunklen Herbstabend mit einem pickligen Klassenkameraden auf einem feuchten Perserteppich. Unterschiedliche Nuancen von Wolle, so kann man das sagen. Dufterinnerungen, gefiltert durch die dunklen Irrgänge der Erinnerung.
Er scheint zu sehen, dass ich zerstreut bin, denn er zuckt fragend mit den mageren Schultern.
»Mia ist das Problem«, flüstert er endlich.
»Ursache und Wirkung sind in Paarbeziehungen oft sehr komplex. Wenn eine Person Probleme hat, wird die gesamte Beziehung davon beeinflusst. Umgekehrt kann man auch sagen, dass das Grundproblem nicht immer bei der Person liegt, die von außen gesehen am schlimmsten dran ist.«
»Wenn Sie mich fragen, ist das nur Scheißgerede«, sagt Patrik und starrt mich ausdruckslos über den kleinen Tisch, auf dem sich Wasserkaraffe, Gläser und Kleenex-Packung drängen, hinweg an.
Er sitzt lässig zurückgelehnt da und trägt noch immer seine feuchte schwarze
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