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Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Grebe
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auch ungeheuer schwer, die Aussagen des Jungen zu beweisen. Und der Vater ist ja jetzt der einzige Sorgeberechtigte … aus natürlichen Gründen. Ja, ich bin vielleicht zynisch, aber ich glaube, dass es so kommen wird.«
    Plötzlich schreit im Hintergrund ein Kind so schrill auf, dass mir fast der Hörer aus der Hand fällt. Ich kann die Frau, die Mirta heißt, jemanden auf Spanisch zurechtweisen hören, ich vermute, ein Kind.
    »Entschuldigung, es ist heute hektisch hier. Wir haben gerade drei neue Mädchen bekommen. Ja, das Leben muss ja auch hier weitergehen …«
    Wieder wird es still in der Leitung, keine von uns weiß, was sie sagen soll. Dann ergreift noch einmal Mirta das Wort:
    »Hillevi, sie war etwas Besonderes, dieses Mädchen, oder?«
    »Ja, sie war etwas ganz Besonderes.«
    »Sie war stark. Und sie hat allen Mädchen hier von ihrer Stärke abgegeben.«
    Ich verspüre einen Kloß im Hals und weiß nicht, was ich darauf sagen soll.
    »Sie war ein richtiger Engel, dieses Mädchen. So war das«, sagt Mirta leise.
    »Ein Engel«, flüstere ich. »Das stimmt, sie war ein Engel.«
    Wir gehen die kurze Strecke von den Söderhallen zu Ainas kleiner Wohnung in der Blekingegata 27. Der kalte Regen, der in der Dunkelheit herunterströmt, macht die Haufen von Herbstlaub bei der Allhelgonakirche gefährlich glatt. Aina sagt nichts, sie macht sich nur klein gegen den Regen und den Wind. Den roten Schal immer wieder um den Hals gewickelt, die Hände tief in den Taschen vergraben, den Blick auf den feuchten Asphalt gerichtet.
    Bei sich zu Hause zündet sie Kerzen an und setzt Teewasser auf. Wir sitzen schweigend am Tisch in der unmodernen Küche. Und Hillevi scheint bei uns zu sein, in der kleinen stummen Wohnung. Ich kann fast ihr sanftes, androgynes Parfüm riechen, sehe das feingeschnittene puppenhafte Gesicht und die perfekt manikürten Hände.
    »Es ist einfach zu übel.«
    Aina nagt an ihrem Daumennagel und schaut aus dem Fenster, hinab auf die dunkle Straße, wo das Regenwasser im Rinnstein kleine schmutzige Bäche bildet.
    Ich nicke stumm. Nippe an dem heißen Tee und streichele vorsichtig mit meiner freien Hand Ainas Arm. Plötzlich sieht sie mich an. Etwas Schwarzes liegt jetzt in ihrem Blick, wie ein unterdrückter Zorn, der zur Oberfläche steigt, und plötzlich habe ich Angst. Es gibt Augenblicke, in denen sie mir Angst macht, sie kann so viel Finsternis in sich haben, kann so scharf sein.
    Dann fällt mir plötzlich etwas ein, ein anderer Zorn, eine andere Finsternis.
    »Du, diese ganze Sache mit Hillevi … es war so intensiv, hat mich total paralysiert. Ich habe so viel daran gedacht, dass ich eins fast vergessen hätte. Weißt du noch, was Malin bei der Sitzung gesagt hat, ehe Hillevi erschossen wurde?«
    »Malin?«
    »Ja, das war, bevor Henrik gekommen ist. Sie hat etwas Seltsames gesagt. So ungefähr, dass diese ermordete Frau es vielleicht nicht besser verdient hätte. Weißt du das noch?«
    Ainas dunkle Augen begegnen meinen, und ohne meinen Blick loszulassen, stellt sie vorsichtig die Teetasse auf die kleine Untertasse.
    »Das weiß ich noch. Wie kann sie das gemeint haben? Das war ja ein ungeheuer seltsamer Spruch.«
    Unfreiwillig zittere ich, spüre ein leichtes Ziehen im Bauch.
    »Findest du nicht, dass mit Malin etwas nicht stimmt? Dieses ganze Gerede über Krafttraining und Selbstverteidigung, und dann dieser Kommentar.«
    Aina schweigt eine Weile und hält die dampfende Teetasse in der Hand.
    »Ich weiß nicht. Ich finde Kattis auch ein wenig seltsam.«
    »Kattis? Die ist durch und durch normal.«
    Aina hebt die Hand, wie um meine Worte abzuwehren.
    »Warte jetzt mal, Siri. Wenn es um Kattis geht, bist du nicht objektiv. Ihr seid doch dicke Freundinnen geworden, nicht wahr? Sitzt händchenhaltend in der Praxis, telefoniert und weint euch beieinander aus. Findest du das richtig? Findest du das ethisch einwandfrei?«
    Ainas Wangen glühen, und ich kann sehen, wie ihre Kiefer mahlen.
    »Nein, aber …« Ich muss lachen. »Du bist doch wohl nicht eifersüchtig, Aina?«
    Diese Frage kommt von nirgendwoher, aber kaum habe ich sie ausgesprochen, da spüre ich ihr Gewicht.
    Aina runzelt die Stirn und lässt sich auf dem alten schiefen Küchenstuhl zurücksinken.
    »Vielleicht. Es hat eine Zeit gegeben, in der wir alles geteilt haben, vergiss das nicht.«
    Ihre Worte treffen mich wie eine Ohrfeige, und ich wende mich ab, als die Einsicht darauf folgt. Sie hat Recht. Ein Teil unserer Intimität ist

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