Das Trauma
für Schwangere geschaffen ist, muss das doch sicher toleriert werden. Jedenfalls eher als anderswo.
»Hallo, Siri, ich bin Monica Wall und Hebamme. Schön, dass Sie hier sind.«
Sie nimmt meine feuchte Hand in ihre warme trockene, führt mich dann in ihr Zimmer und zeigt auf einen Stuhl vor einem großen Schreibtisch. An der Wand über dem Schreibtisch hängen jede Menge Bilder von Babys, Dankesschreiben von Eltern und Kindern. Ich überlege, ob ein Bild des Kindes in meinem Bauch hier an der Wand hängen wird, aber diese Vorstellung ist so abstrakt, dass ich aufgebe.
Monica erzählt, dass dieses Gespräch der Einführung dient und dass wir heute allerlei erledigen werden. Ich höre, wie sie über Größe, Gewicht spricht. Über Blutdruck und Informationsmaterial.
»Und wo haben wir den Vater?«
»Den Vater?« Meine Antwort ist wie ein leeres Echo, ohne wirklichen Inhalt. Monica schaut auf und erwidert meinen Blick. Sie hat ungewöhnlich klare blaue Augen.
»Oder sind Sie vielleicht alleinstehend? Das ist durchaus nicht ungewöhnlich. Wir haben Gruppen für Mütter, die alleinerziehende Elternteile sein werden. Ja, so sagen wir das. Alleinerziehend, nicht alleinstehend. Man braucht ja durchaus nicht allein zu stehen, nur weil kein Vater mit im Bild ist.« Sie lächelt aufmunternd, und ich muss mehrmals schlucken, um mich von dem bitteren Geschmack in meinem Mund zu befreien.
»Es gibt einen Vater, aber er kann heute nicht dabei sein. Also, wir leben nicht zusammen, aber wir haben eine Beziehung, deshalb …«
»Ist schon klar«, sagt Monica und lächelt wieder. »Aber er kann gern jederzeit mitkommen. Er bekommt ja auch ein Kind, und wir ermutigen die Väter, sich einzubringen. Und es ist Ihr erstes Kind?« Wieder lächelt sie, und ich merke, dass diese gelassene, selbstsichere, lächelnde Frau mich mehr und mehr provoziert. Diese Frau, die auf alles eine Antwort zu haben scheint.
»Ich hatte eine Spätabtreibung. Mein Kind, das Kind … der Embryo … hatte eine Missbildung, die bedeutete, dass es außerhalb der Gebärmutter nicht hätte überleben können. Es wurde bei der regulären Ultraschalluntersuchung entdeckt. Es ist jetzt fünf Jahre her.«
Monica hält mir eine Schachtel Kleenex hin, und ich merke, dass ich weine, was mir gar nicht klar war. Die Hormone, denke ich. Das sind die Scheißhormone.
Monica sieht unberührt aus, als hätte sie es jeden Tag mit weinenden Müttern zu tun, und mir geht auf, dass es natürlich genau so ist. Sie stellt weiter ihre Fragen. Die letzte Menstruation, Krankheiten, Pille. Ich antworte, so gut ich kann, und sie erklärt, nur durch eine Ultraschalluntersuchung könne die Dauer der Schwangerschaft bei mir festgestellt werden, da ich offensichtlich Zwischenblutungen hatte.
»Rauchen Sie?« Sie schaut vom Computer auf, an dem sie jetzt ein Formular über meine Gesundheit ausfüllt.
Ich zögere.
»Denn wenn Sie rauchen, können Sie Hilfe beim Aufhören bekommen. Wir arbeiten mit einer Praxis zusammen, in der Rauchentwöhnung durch Hypnose angeboten wird.«
»Ich rauche nur sehr selten«, sage ich jetzt. »Nicht gewohnheitsmäßig.«
Monica sieht zufrieden aus und schreibt etwas in das Formular, und ich merke, wie die Übelkeit sich bemerkbar macht. Ich weiß, welche Frage jetzt kommen wird. Ich weiß nur nicht, wie ich sie beantworten soll. Die Frage, vor der ich mich fürchte. Die Frage, die meine Unruhe beim Namen nennt. Die mich an geschädigte Embryos denken lässt, an Missbildungen, an verletzliche Nervenzellen.
»Und wie viel Alkohol trinken Sie?«
»Ich habe ja gerade erst erfahren, dass ich schwanger bin, also, ich habe Alkohol getrunken, bevor ich wusste, dass … Aber ich trinke nur wenig. Wirklich.« Ich schaue in ihre klaren blauen Augen und lächele. »Ich trinke eigentlich nie Alkohol, vielleicht mal ein Glas Wein zu festlichen Angelegenheiten oder so.«
Monica lächelt strahlend.
»Da ist ja schön, dann kommt jetzt das Wiegen an die Reihe«, sagt sie und zeigt auf eine digitale Waage in einer Zimmerecke.
Krankenbericht der psychiatrischen Kinder- und Jugendfürsorge
Erstgespräch
11-jähriger Junge kommt zusammen mit Eltern. Der Junge hat in der Schule Probleme wg. Aggressivität. Die Eltern berichten, der Junge sei groß und stark und gerate häufig in Schlägereien, weil es ihm schwerfällt, seine Aggressivität zu zügeln, wenn er gereizt wird. Der Junge klagt oft darüber, dass die anderen Kinder gemein sind, und er will lieber gar nicht
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