Das Trauma
Tropfen, die gegen meine Windschutzscheibe knallen. Die Scheibenwischer versuchen, mit den Wassermassen Schritt zu halten. Das Geräusch der Wischer, einschläfernd und auf gewisse Weise Geborgenheit schenkend.
Ich habe mir heute freigenommen. Habe Termine verlegt und mir einen Tag freigeschaufelt. Jetzt bin ich auf dem Weg in die Stadt, passiere schwarze Buchten und Sommerhäuser, die an dem grauen Herbsttag einsam und verlassen aussehen. Im Sommer ist der Weg in die Stadt erfüllt von funkelndem Wasser, Segelbooten und einem Gewimmel aus Touristen. Jetzt ist die Landschaft verlassen und die Schnellstraße fast leer. Hier und da begegne ich einem anderen Wagen, dessen gelbe Scheinwerfer sich in der nassen Fahrbahn spiegeln, und bei Baggensstäket überholt mich ein Regionalbus, der mein kleines Auto in noch mehr Wasser ertränkt. Das ist alles.
Die Einsamkeit lässt mir viel Platz zum Grübeln. Was ich vorher verdrängen wollte, ist jetzt eine Tatsache. Ausdrücklich bewiesen durch zartes Blau an einem Plastikstäbchen.
Ein Kind.
Ich versuche zu verstehen, wann es passiert ist. Ich bin ein erwachsener Mensch. Ich weiß, wie Kinder entstehen und wie man verhütet. Zugleich habe ich keinerlei Ahnung, wann das hier geschehen sein kann. Wie es geschehen sein kann. Kann es nicht an mich heranlassen. Es verstehen. Nur die Übelkeit, die mich in Besitz genommen hat, macht das Unwirkliche wirklich. Denn genau so war es beim ersten Mal.
Damals, mit Stefan.
Das Kind, das unseres sein sollte. Das Kind, das niemals eins wurde. Und jetzt, ein neues Kind. Wie überraschend. Seltsam. Unbegreiflich. Und ich denke an Markus. An seine echte Freude über die Schwangerschaft und seinen Schmerz angesichts meiner fehlenden Reaktion. Für einen kurzen Augenblick schäme ich mich. Spüre, wie die Scham in meinem Bauch brennt, weil ich Markus nicht so lieben kann, wie er mich liebt. Kann nicht, wage nicht, will nicht. Ich bringe es nicht einmal über mich, mir deutlich zu machen, warum nicht. Weiß nur, dass etwas in mir nicht wagt, loszulassen.
Irgendwo gibt es auch eine fast magische Vorstellung. Alles, was ich anfasse, zerbricht. Alle, die ich liebe, sterben. Und wenn ich loslasse und Markus nachgebe, dann … was dann? Dieser Gedanke ist irritierend und unvernünftig, und ich sehe ein, dass er depressiv und nicht die Spur von konstruktiv ist.
Ich biege in Richtung Södermalm ab und versuche, den Weg zu meinem Ziel zu finden. Einsame Menschen eilen unter großen schwarzen Regenschirmen dahin. Eine Gruppe von Kindern kommt von der Sofia-Schule, offenbar stört sie der Regen nicht. Ihre Kleider sind aufgeweicht, und ihre Haare kleben an ihren Gesichtern, aber sie sind total damit beschäftigt, einen verschlissenen Fußball zu treten und Pommes aus einer Tüte zu essen, die zwischen ihnen hin und her gereicht wird.
Noch ein paar Straßen, dann bin ich am Ziel. Wunderbarerweise finde ich gleich vor dem Eingang einen Parkplatz und laufe vom Auto zum gläsernen Eingang des roten Klinkerhauses. Im Haus folge ich den Hinweisschildern zur Hebammenstation. Ich balanciere auf einem Bein, um die scheußlichen blauen Schlupfschuhe überzustreifen, die in einem Korb vor dem Eingang liegen.
Der Empfangsschalter ist leer, deshalb setze ich mich auf eines der großen Sofas und blättere in einer Illustrierten, während ich zugleich meine Umgebung mustere. Auf einem anderen Sofa sitzt eine riesige Frau und spricht in ihr Mobiltelefon. Ich höre, wie sie über Blutdruck, Einweisung und Schwangerschaftsvergiftung redet, während sie zugleich scheinbar unbewusst immer wieder ihren riesigen Bauch streichelt.
Aus der Ferne höre ich das Klirren von Porzellan und unterdrücktes Lachen. Die Wände sind geschmückt mit Kunst von Ikea, Plakaten mit der Nummer des Notrufs für vergewaltigte Frauen und einer Bitte, sich an einem Forschungsprojekt über das Schmerzempfinden gebärender Frauen zu beteiligen.
Überall Zeitschriften über Schwangerschaft und Kinder.
Plötzlich wird eine Tür geöffnet, und eine Frau von vielleicht fünfzig Jahren schaut heraus. Sie hat struppige Haare und trägt eine mit Blumen bestickte Tunika. Ein großer Anhänger aus Bronze ruht zwischen ihren Brüsten. Sie entdeckt mich und legt den Kopf schräg.
»Sind Sie Siri Bergman?«
Ich nicke stumm und spüre, wie mein Unwohlsein sich steigert. Plötzlich habe ich Angst, in dem gepflegten Wartezimmer kotzen zu müssen, aber zugleich denke ich, hier, in dieser Umgebung, die
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