Das Trauma
Arten von Verbrechern, auch wenn es Untergruppen von eher minder begabten und sozial unfähigen Stalkern gibt.«
»Sie können also klüger und dümmer als der Durchschnittsschwede sein? Das hilft uns ja nicht gerade viel weiter.«
Markus macht ein skeptisches Gesicht, aber Vijay zuckt nur mit den Schultern und lacht.
»Das hier ist keine absolute Wissenschaft. Aber egal, oft liegen andere psychische Störungen zugrunde: Borderline, Narzissmus, Schizophrenie, antisoziale Persönlichkeitsstörung. Und dann gibt es natürlich auch Milieufaktoren, die eine Rolle spielen. Oft wird dieses Verhalten durch irgendeine Form von gefühlsmäßigem Verlust ausgelöst, zum Beispiel durch eine Beziehung, die ein Ende nimmt, einen Todesfall oder einfach, dass einem die Stelle gekündigt worden ist.«
»Wird man davon verrückt?«, fragt Markus.
»Tja, wenn man ein verletzliches Wesen ist.«
Vijay tunkt ein Stück Baguette in die braune Soße und lächelt strahlend. Markus schüttelt den Kopf, als wäre er anderer Meinung, würde nicht glauben, was Vijay da erzählt.
»Nein, Markus.« Vijay lacht noch immer, und seine weißen Zähne funkeln in seinem dunklen Gesicht. »Nein, du würdest nicht verrückt werden, wenn dir gekündigt würde. Du würdest vermutlich nur eine Menge Computerspiele spielen. Verstehst du?«
Markus sieht plötzlich verlegen aus und schenkt für sich und Aina mehr Wein ein.
»Aber«, fängt Aina an, »gibt es keine Stalkerinnen?«
»Sicher, aber die sind viel, viel seltener. Ich habe neulich eine Studie gelesen, die an etwa achtzig Stalkerinnen in den USA, Kanada und Australien durchgeführt worden ist. Die ist wirklich ziemlich spannend, es hat sich nämlich gezeigt, dass Stalkerinnen ein etwas anderes Profil haben als Stalker. Diese Frauen waren vor allem alleinstehende, heterosexuelle, gut ausgebildete Personen von Mitte dreißig. Auch hier liegt oft eine psychische Störung zugrunde. Die häufigste ist Borderline. Stalkerinnen neigen nicht ganz so zu Gewalt wie Stalker, aber wenn die Frau über längere Zeit eine Liebesbeziehung zu dem Opfer gehabt hat, steigt das Risiko um einiges.«
Ich merke, wie ein Windstoß vom unisolierten Fenster her um meinen Körper fegt, und schaudere unfreiwillig zusammen – diese ganze Diskussion, über Tod, Hass, davon wird mir schlecht.
»Muss Susanne denn von einem Mann umgebracht worden sein?«, fragt Aina.
»Die Spurensicherung meint, dass es fast sicher ein Mann war, und die Tochter hat das bei der Vernehmung ja auch gesagt«, meint Markus.
»Und rein statistisch wird diese Art Verbrechen fast ausschließlich von Männern begangen. Neun von zehn brutalen Gewaltverbrechen werden von Männern begangen«, fügt Vijay hinzu.
»Könnte es sich bei dem Mord an Susanne um Raubmord handeln? Diese Kleine, die hat doch etwas darüber gesagt, dass der Täter Geld genommen hat, daran habe ich noch gar nicht gedacht«, sagt Markus.
»Weißt du noch genau, was sie gesagt hat?«
»Nicht so richtig. Etwas darüber, dass er, der Mörder also, Geld genommen hat, dass er zaubern konnte.«
Vijay lächelt traurig.
»Aber nur, weil sie gesagt hat, dass er Geld genommen hat, können wir ja nicht sicher sein, dass das wirklich so war. Bei Kindern weiß man doch nie. Sie haben eine lebhafte Phantasie, nicht wahr? Mich persönlich würde es sehr überraschen, wenn es Raubmord gewesen wäre.«
Vijay legt eine Pause und einen Priem ein. »Aber die Leute tun so viele krankhafte Dinge, ja, sicher, in der Theorie, ja. Aber die Gewalt war zu grob, um …« Er kratzt sich ein wenig am Hals, als dächte er nach, schaut zur Decke hoch, legt eine Kunstpause ein und sagt dann:
»Tritte ins Gesicht, das ist doch sehr persönlich, und es weist auf einen wahnsinnigen Hass hin. Raubmorde sehen eigentlich anders aus. Jemand kriegt eine in die Fresse, weil er Brieftasche, Autoschlüssel oder Tasche nicht hergeben will. Aber es gibt ja Ausnahmen. Wenn der Täter oder die Täter unter Drogen standen, könnte das die brutale Gewalt erklären. Rohypnol oder Flunnitrazepam, wie diese Substanz eigentlich heißt, kann zum Beispiel eine gefühlsmäßige Abstumpfung verursachen, die den Täter zu überaus brutalen, gewalttätigen Verbrechen befähigt. Unter Kriminellen wird dieses Mittel ziemlich häufig benutzt, sie nennen es ›Ringerpillen‹. Habt ihr das gewusst? Sie werden in allerlei Internetforen empfohlen, weil sie Unruhe und Angst vor Einbruch, Überfall oder vielleicht einer geplanten
Weitere Kostenlose Bücher