Das Trauma
Rauchgeruch hängt im Haus. Aina trägt einen gestrickten Wollpullover und dicke Wollsocken. Ich vermute, dass sie noch immer friert, denn sie hat die Knie unter den Pullover gezogen und sitzt wie ein Frosch auf dem Küchenstuhl. Ihre Wangen glühen im schwachen Licht der Stummelkerzen auf dem Tisch.
Vor dem Fenster ist es pechschwarz. Die Dunkelheit ist so total, dass ich nicht einmal die Umrisse der Bäume am Ufer der Bucht erahnen kann, ich kann nicht sehen, wie der Himmel das unruhige Wasser glitzern lässt. Aber ich kann durch die dünnen, einfachen Fenster die Wellen hören.
Vijay versucht sich dem Problem vorsichtig zu nähern, schaut mich und Aina zögernd an, ehe er die Frage stellt.
»Wie geht es euch … jetzt? Nach allem, was passiert ist?«
Aina trinkt einen großen Schluck Wein und schaut hinaus in das Schwarze, zuckt mit den Schultern.
»Weiß nicht. Es ist ein seltsames Gefühl. Es sind so viele Gefühle, ich denke die ganze Zeit daran. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass es das Erste ist, woran ich denke, wenn ich aufwache, und das Letzte, ehe ich einschlafe.«
»Ich träume davon«, werfe ich dazwischen, und kaum habe ich es gesagt, da bereue ich es auch schon, denn ich kann die Unruhe in ihren Augen sehen.
»Wie meinst du das, dass du davon träumst?«, fragt Vijay mit verräterisch sanfter Stimme, aber ich weiß, was er denkt. Ich weiß, was sie alle denken. Dass ich noch immer verletzlich bin. Dass ich solche Situationen vielleicht nicht bewältigen kann, dass bestenfalls mein Professionalismus leidet und schlimmstenfalls meine seelische Gesundheit.
Vijay wischt sich einige Reiskörner vom Sweatshirt, dessen Logo ich als das einer Hardrockband aus den siebziger Jahren erkenne. Ich denke, dass man es bei Vijay nie weiß, es kann echte Liebe zur Musik sein, aber es kann auch ein neuer – und für mich total unbekannter – Trend sein. So einer, der meine unhippen Läden nie erreicht.
»Ach, vergiss es!« Ich mache eine abwehrende Handbewegung, aber da die anderen noch immer skeptisch schauen, entschließe ich mich zu einem Erklärungsversuch. »Doch, okay, ich habe schon davon geträumt, aber in meinem Traum habe ich versucht, Hillevi zu retten, indem ich die Hände in die Wunde gesteckt habe, nicht Sirkka.«
Plötzlich erinnere ich mich an den Traum so deutlich wie an ein wahres Ereignis: wie das Blut aus Hillevis schmalem Körper strömt, wie meine Hände in ihrem warmen, pulsierenden Inneren versinken. Wie das Leben sie in dem Tempo verlässt, in dem die Lache auf dem Boden der Praxis wächst, und wie die auf den Boden gefallenen Zimtschnecken die Flüssigkeit aufsaugen und sich rosa verfärben, zu riesigen Rosen werden.
Blutrosen.
»Und dann?«, fragt Markus. »Konntest du sie retten?«
»Das brauchst du ja wohl nicht zu fragen«, antworte ich. Vielleicht ein wenig zu spitz.
»Du fühlst dich vielleicht schuldig an ihrem Tod«, sagt Markus, und ich merke, wie meine Gereiztheit wächst.
»Ich glaube, du deutest Dinge in meinen Traum hinein, die dort vielleicht gar nicht vorhanden sind«, murmele ich, bemüht, meine Stimme leise und beherrscht wirken zu lassen. Denn ich will diesen Abend, der so verheißungsvoll angefangen hat, nicht ruinieren.
Aina scheint die Spannung zwischen mir und Markus zu bemerken und kommt mir zu Hilfe:
»Was glaubst du, Vijay? Glaubst du, dass Henrik auch Susanne ermordet hat?«
»Liebe. Das kann ich doch nicht sagen. Es wäre ungeheuer unseriös von mir, mich über solche Dinge zu äußern, ohne mehr über dieses Verbrechen zu wissen.«
»Aber irgendwas musst du doch sagen können. Wer tut denn eigentlich so was?«
Vijay seufzt tief und rutscht auf seinem Stuhl hin und her.
»Okay«, beginnt er langsam. »Sie war mit ihrer Tochter zu Hause, als der Täter kam. Soviel wir wissen, hat sie selbst die Tür aufgemacht. Danach wurde sie zu Tode getreten, und der Täter verließ den Tatort. Die Tochter, die unter dem Esstisch saß, kann die Tat bezeugen, aber den Täter nicht identifizieren. Stimmt das, Markus?«
»Das stimmt«, murmelt Markus. »Die Tochter sagt, es war ein Mann, sie hat ihn gesehen, aber sie hat ihn nicht erkannt. Und sie kann den Täter nicht beschreiben.«
Vijay fährt sich mit der Hand über die Bartstoppeln auf seinem Kinn, er scheint eine Weile zu überlegen, dann nickt er Markus zu.
»Was hat sie sonst noch gesagt?«
Markus sieht plötzlich resigniert aus, er zuckt kurz mit den Schultern.
»Viel mehr haben sie nicht
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