Das Trauma
Schweigend.
»War das schwer?«, frage ich endlich.
Mia scheint zuerst nicht antworten zu können. Sie schüttelt nur langsam den Kopf.
»Nö, das ist ja gerade so … komisch. Irgendwie war es gar nicht schwer. Denn so wie Patrik nicht mehr … böse war. So wie er mich an sich herangelassen hat, da … Ich weiß nicht. Ich glaube nicht, dass ich die Tabletten gebraucht habe. Eigentlich nicht.«
»Und wie geht es Ihnen jetzt?«
»Besser. Es ist mir schon lange nicht mehr so gut gegangen. Es ist seltsam. Ich fühle mich so … stark. Als ob ich auf einen Berg steigen könnte, kotzende Kinder Nacht für Nacht hin- und hertragen könnte, ohne schlafen zu müssen, einen Marathon laufen … ich weiß nicht. Das klingt vielleicht blöd?«
»Nein, gar nicht«, sage ich und berühre leicht ihren Arm. Spüre, wie das dünne, blanke synthetische Material unter meinen Fingerspitzen davongleitet. Kalt und glatt wie ein Fisch.
Mia und Patrik lachen gemeinsam. Ein wenig verlegen vielleicht. Ich überlege eine Weile schweigend, es hört sich ein wenig zu einfach an. Eine Beziehung in der Krise, eine Partnerin, eine Mutter, die Beruhigungsmittel nimmt, um durchzuhalten. Dann, einige Wochen später, ist alles wieder gut: kein Suchtverhalten, keine Konflikte, Hände, die einander sanft berühren, wenn man sich in der Küche begegnet, glühende Wangen. Einigkeit und Begehren. Eine plötzliche Kooperation. Bereitwilligkeit, die Lage des Gegenübers zu verstehen. Empathie. Kann das stimmen? Kann es so einfach sein? So banal?
»Ich glaube, Sie müssen mir ein wenig auf die Sprünge helfen«, beginne ich vorsichtig, ich will ihre neue brüchige Zusammengehörigkeit ja nicht anzweifeln oder gefährden. »Wie genau ist es vor sich gegangen, dass Sie wieder zueinander gefunden haben, denn es war ja wohl nicht so einfach, eines Tages plötzlich die Tabletten ins Klo zu werfen, Mia?«
»Doch, ich glaube, es war so einfach«, sagt Mia und fährt sich mit der Hand durch die frischgewaschenen Haare, schiebt sie sich hinter ein Ohr.
»Nein, nein, nein. Es muss damit angefangen haben, dass ich mich endlich zusammengerissen habe«, sagt Patrik. »Ich glaube, als ich irgendwie begriffen habe, warum ich die ganze Zeit so sauer auf Mia war, da … da hat es aufgehört. Wir haben geredet, und ich habe von meiner Mutter erzählt und so.«
»… und da habe ich gewusst, dass ich Patrik zuliebe mit den Tabletten aufhören muss«, fügt Mia hinzu. Sie ist jetzt eifriger. Gestikuliert, und ihre molligen Hände flattern vor ihrem Gesicht wie fette Sperlinge.
»Na gut, das haben Sie beide phantastisch hingekriegt, wenn ich das so sagen darf, denn ich meine, wir sitzen ja nicht auf der Schulbank. Sie haben wirklich gekämpft. Was Sie wissen müssen, ist, dass es sehr leicht ist, wieder in die alten Verhaltensmuster zurückzufallen. Wenn etwas Unangenehmes passiert, wenn Sie unterschiedlicher Meinung sind, wenn Sie verletzlich sind. Das sollten Sie im Hinterkopf behalten. Dass das nicht unnormal wäre. Wichtig ist, dass wir gemeinsam einen Plan machen, wie Sie Ihre Fortschritte beibehalten, weiterführen können.«
»Das wird kein Problem sein«, sagt Mia gelassen. »Ich fühle mich jetzt so stark. Ich glaube, ich werde mit allem fertig.«
Ich schaue zu Patrik hinüber, aber er sagt nichts, er nickt nur eifrig und zieht an seinem T-Shirt mit dem The-Smiths-Aufdruck.
Freitagmorgen.
Ich werde von einem scharfen Knall geweckt und fahre im Bett hoch, aber ich höre nur die üblichen Geräusche des Hauses, das leise Brummen des Kühlschranks, den Regen, der auf das Dach prasselt, und den Wind, der draußen umherjagt.
Die Dunkelheit vor meinen Fenstern ist so kompakt, dass ich mir vorstelle, dass sich ein großes schwarzes Tier zum Schlafen um mein Haus gewickelt hat.
Ich stehe auf, ziehe meinen verschlissenen Morgenrock über, schleiche mich ins Wohnzimmer, merke, dass ein kalter Wind über die Bodenbretter fegt. Ich schaudere zusammen und schaue auf die Uhr, halb sieben, bald Zeit zum Aufstehen.
Im Zimmer ist alles ruhig, aber ich sehe fast sofort, dass mit dem mittleren Fenster etwas nicht stimmt. Ein langer Riss zieht sich von einer Seite zur anderen, als hätte jemand mit einem schweren Gegenstand gegen die Scheibe geschlagen.
Lange stehe ich stumm hinter dem Fenster und schaue hinaus in die Dunkelheit. Alles ist schwarz, und ich kann nichts erkennen, ich kann nur ein schwaches Glitzern im Wasser unterhalb der Felsen ahnen. Der Wind muss
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