Das Trauma
Misshandlung dämpfen. Aber egal, ihr habt gesagt, die Kleine habe gesehen, dass der Täter Geld genommen hat. Es muss aber kein Raubmord sein, nur weil der Täter etwas gestohlen hat. Andere Typen von Mördern nehmen ja nicht selten etwas vom Opfer mit: Geld, Andenken.«
Plötzlich wird mir schlecht, die Übelkeit dringt in jede Zelle meines Körpers ein. Ich springe wortlos auf und stürze aus dem Zimmer, während die Blicke von Aina und Vijay meinen Rücken verbrennen. Auch diesmal erreiche ich die Hütte noch, ehe ich Markus’ Eintopf in den kleinen unmodernen Toilettenstuhl spucke.
Ich bleibe eine Weile auf dem Boden sitzen.
Bowie lächelt mich von der Wand her an, aber wenn ich mich nicht irre, dann ist sein Blick unter dem blauen Lidschatten besorgt.
Novembernacht.
Ich schmiege mich an Markus’ Körper. Seine Hände auf meinem Bauch.
»Hast du jetzt diesen Termin gemacht?«
»Nächsten Donnerstag. Kommst du mit?«
»Das ist doch klar. Ich will schließlich unser Baby sehen. Es ist einfach unglaublich. Wann willst du es übrigens Aina sagen? Sie wird verletzt sein, wenn du es ihr verschweigst.«
Ich gebe keine Antwort, denn ich weiß, dass er recht hat. Stattdessen drücke ich meinen Körper fester an seinen und lausche dem Rauschen der Wellen und des Windes, der um die Hausecken jagt.
»Ich liebe dich«, sagt Markus und streift meinen Nacken mit den Lippen.
Auch dazu sage ich nichts, aber in dieser Nacht träume ich nicht von Hillevi, zum ersten Mal seit einer Woche. Ich schlafe tief und fest, wie ein Kind, ohne auch nur ein einziges Mal aufzuwachen.
In der Praxis ist etwas passiert. Das Licht der nackten Neonröhren scheint einen wärmeren Farbton bekommen zu haben. Die hellgrünen Wände wirken wie von innen beleuchtet. Und mir geht auf, dass das Paar, das vor mir sitzt, Schuld an dieser plötzlichen Veränderung hat. Auch sie sind verändert. Patrik, hocherhobenen Hauptes, ein Lächeln auf den Lippen, ein zufriedenes Grinsen vielleicht? Mia, eine andere, als die, die ich zuletzt gesehen habe. Es ist schon eine Weile her, dass sie mich gemeinsam besucht haben, kranke Kinder und Patriks Arbeit haben uns zweimal gezwungen, den vereinbarten Termin zu verschieben. Aber der Wandel ist umwerfend, die Haare fallen in sanften hellbraunen Wellen um Mias Gesicht, sie hat sich geschminkt – ich kann nicht behaupten, dass ich es besonders geschmackvoll fände, grüner Lidschatten war noch nie mein Ding –, aber ihre Bemühungen lassen sie unendlich lebhafter aussehen. Und die Kleidung. Eine dunkle Jeans und ausgeschnittene schwarze Bluse haben den obligatorischen Strampelanzug in Erwachsenengröße ersetzt.
Aber das Wichtigste ist vielleicht: Mia sitzt im Sessel und Patrik auf dem Stuhl. Ich weiß nicht, warum ich dieses Detail so interessant finde, aber auf irgendeine Weise erscheint es mir als wichtiges Symbol. Eine Friedensgeste von Seiten Patriks vielleicht. Sein knochiger Hintern, der über das harte Holz schabt, im Austausch gegen ihre überwältigende Fürsorge?
»Sie sehen unglaublich … gut aus. Ich hoffe, es geht Ihnen ebenso gut, wie Sie aussehen.«
Mia kichert und sieht für eine Sekunde verlegen drein. Fast so, als hätte ich eine intime Frage gestellt.
»Ja, das ist schon … ein kleines Wunder«, sagt sie mit einer Stimme, die ich nicht wiedererkenne. Die spröde Heiserkeit ist einem fülligen Alt gewichen.
Sie schaut vorsichtig zu Patrik hinüber, der noch immer dieses Grinsen zeigt. Es sieht auf irgendeine Weise unpassend aus, als wären sie Teenager, die soeben auf meiner Toilette Sex gehabt hätten. Aber was weiß ich, vielleicht hatten sie das ja auch?
Er fährt sich energisch mit der Hand durch die blondierten Haare und schiebt die Hornbrille ein wenig weiter seine Nase hoch.
»Mia hat Recht. Es ist …wirklich phantastisch. So, als ob wir endlich wieder auf dem richtigen Gleis sind.«
»Erzählen Sie. Was ist passiert?«
Mia schaut nachdenklich zur Decke hoch.
»Ach, wir haben im Grunde nur getan, worüber wir zuletzt gesprochen haben, Sie wissen schon, wir haben einen Plan gemacht, wie wir die Arbeit zu Hause aufteilen könnten und so. Und haben mit diesem Modell für Problemlösung gearbeitet. Es funktioniert. Das schon. Aber …«
»Aber was?«
»Mia hat mit den Tabletten aufgehört«, sagt Patrik leise und presst Mias Hand. Ich kann sehen, wie die Röte sich über Mias bleichen Hals ausbreitet, während sie stumm nickt. So sitzen wir dann eine Weile da.
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