Das Trauma
Sie hat keinen Mantel, nur eine dünne Strickjacke und Turnschuhe. Ihre Augen sind geschwollen und rot und die Haut weiß wie Papier.
»Darf ich reinkommen?«
»Aber was ist denn passiert?«
»Bitte, lassen Sie mich rein. Sie haben doch gesagt, wir könnten immer zu Ihnen kommen, wenn etwas ist, und ich … ich konnte es zu Hause nicht aushalten, deshalb bin ich hergefahren. Entschuldigung, dass ich nicht vorher angerufen habe. Ich hätte anrufen sollen, aber …«
Ohne ein Wort öffne ich die Tür, und sie schlüpft blitzschnell herein, wie eine Katze.
»Kommen Sie rein, Ihnen muss doch eiskalt sein.«
Sie nickt mir zu und reibt die Hände aneinander, scheint aber absolut nicht zu zögern. Stattdessen läuft sie geradewegs zu meinem abgenutzten Sofa und lässt sich darauf sinken.
Vorsichtig gehe ich zu ihr, lege die schottisch karierte Decke um ihren zitternden eiskalten Leib.
»Aber Sie sind ja ganz dünn angezogen! Was ist passiert?«
»Ich halte es nicht mehr aus. Ich kann das einfach nicht!«
Leerer Blick, die Schultern angespannt und hochgezogen. Die weichen blonden Haare kleben am Schädel.
Ich setze mich neben sie auf das Sofa und nehme ihre Hand, merke, dass sie zittert, vor Kälte und vielleicht noch aus einem anderen Grund. Angst?
»Malin, was ist passiert?«
Aber sie scheint mich nicht zu hören. Sie zittert nur unter der Decke, starrt mit leerem Blick vor sich hin. Plötzlich habe ich Angst, sie könnte wirklich ausgekühlt sein, vielleicht sollte ich sie zu einem Arzt bringen.
»Möchten Sie eine Tasse Tee?«
Sie nickt, ohne mich anzusehen, und ich gehe zögernd in die Küche, um abermals Teewasser aufzusetzen.
»Möchten Sie sonst etwas, ein Butterbrot?«
Sie schüttelt den Kopf.
Ich fühle mich gar nicht wohl in meiner Haut. Ich stehe Malin nicht nahe, hätte sie unter normalen Umständen nie zu mir nach Hause eingeladen. Sicher haben Aina und ich allen Frauen in der Gruppe gesagt, sie könnten jederzeit anrufen, wenn sie reden wollten. Aber einfach so zu mir zu kommen, um sieben Uhr morgens? Ich bringe Malin die dampfende Teetasse, setze mich vorsichtig neben sie.
Sie zittert, als sie die Tasse hochhebt, und der heiße Tee schwappt auf das Sofa und über ihre Hände, aber das scheint sie nicht zu bemerken.
»Sie wissen doch, ich dachte, ich hätte alles unter Kontrolle«, flüstert sie.
»Was hatten Sie unter Kontrolle?«
Sie sieht mich an und lächelt zaghaft.
»Mich selbst. Nach der Vergewaltigung schien die ganze Welt einzustürzen. Eine Zeitlang glaubte ich, ich würde wirklich verrückt. Wäre dabei, den Verstand zu verlieren. Dann … ich habe mich gezwungen, unglaublich diszipliniert zu sein, was Sport und Ernährung angeht, und ich habe ganz mit dem Trinken aufgehört, weil ich solche Angst hatte, die Kontrolle zu verlieren. Und wissen Sie was? Es hat sogar funktioniert. Ich habe mein Leben zurückbekommen, meinen Verstand. Nur ab und zu kommt alles … auf irgendeine Weise zurück. Zum Beispiel, wenn er mir in der Stadt über den Weg läuft, der Vergewaltiger. Dann kann ich die schlimmsten Panikattacken kriegen. Und dann habe ich das Gefühl, wieder verrückt zu werden, und … ich will das doch nicht, ich will doch die Kontrolle über mein Leben haben, will nicht in diesen Abgrund stürzen, will nicht verrückt werden.«
»Ich glaube nicht, dass Sie verrückt sind, Malin, ich glaube nur, dass es Ihnen so vorkommt. Und je mehr Sie vor diesen Gefühlen weglaufen, desto mehr Macht geben sie Ihnen. Das Beste wäre es, wenn Sie es wagten, sich Ihren Gefühlen zu stellen, statt loszurennen, sowie die Angst sich aufdrängt.«
»Aber jetzt ist alles zum Teufel gegangen.«
Sie legt den Kopf auf die Knie, lässt ihn auf der karierten Decke liegen. Vorsichtig nehme ich ihr die Teetasse aus der Hand und stelle sie auf den Tisch.
»Was ist denn passiert?«
»… ich bin in diesem schwarzen Loch und habe wieder das Gefühl, wahnsinnig zu werden.«
»Sie müssen erzählen, Malin. Sonst kann ich Ihnen nicht helfen.«
»Na gut«, seufzte sie und hebt den Kopf von der Decke, sieht mich an. »Diese Frau, die von ihrem Typen totgetreten worden ist, diese Susanne. Sie war eine von denen, die meinem Vergewaltiger das Alibi gegeben haben. Zuerst habe ich es nicht begriffen. Aber als Kattis dann ihren Namen genannt hat und ihre Adresse, da wusste ich es sofort. Es haben ihm ja noch andere das Alibi besorgt, fünf Stück, sie war also nicht allein schuld. Aber … wissen Sie, wie viele
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