Das Trauma
Stunden ich damit verbracht habe, diese Menschen zu hassen? Und jetzt ist das passiert, und ich weiß einfach nicht, ob ich froh sein oder es schrecklich finden soll. Einerseits denke ich manchmal, dass sie den Tod verdient hat, andererseits weiß ich, wie krank das ist, und will ich ihnen wirklich den Tod wünschen? Ich will nicht krank sein. Und dann kam die Polizei und hat jede Menge Fragen über die Vergewaltigung gestellt, und ob ich Susanne gekannt habe und was ich von ihr gehalten habe. Sie versuchten es so dazustellen, als ob ich irgendetwas damit zu tun hätte, als ob ich nicht genug gelitten hätte. Das habe ich ihnen gesagt, dass ich schließlich ein Opfer bin. Ich will nur, dass mein Leben wieder so wird wie früher. Vorher. Aber das geht nicht, denn jetzt kommt irgendwie alles wieder zurück, was passiert ist. Ich kann nicht mehr schlafen, kann nicht essen, kann mich nicht einmal lange genug konzentrieren, um mir eine ganz normale Fernsehsendung anzusehen, habe das Gefühl, dass ich irgendwie weiß, dass ich jetzt verrückt werde. Und zwar wirklich.«
Endlich hat es aufgehört zu regnen. Die schweren Wolken haben sich verzogen, und ein blassblauer Novemberhimmel ist zu sehen. Der Wind hat sich gelegt, und die Bucht liegt blank und glatt da, nur ein leises Kräuseln ist an der Wasseroberfläche zu bemerken. Einige Seevögel dümpeln auf dem Wasser, tauchen unter und verschwinden im Schwarzen, um dann wieder zum Vorschein zu kommen.
Ich weiß nichts über Vögel. Kenne nicht die Arten, weiß nicht, was sie fressen, wo sie brüten. Wenn Markus hier wäre, könnte er mich vielleicht aufklären, er ist mehr Freiluftmensch als ich. Kennt sich aus mit Pflanzen und Tieren. Kann aus zwei Stöcken Feuer machen, scheint einen angeborenen Kompass zu besitzen.
Ein echter Pfadfinder.
Aber Markus ist noch immer in Västerås, und ich bin allein in meinem Haus. Meinen eigenen Gedanken und Entscheidungen überlassen.
Malin ist nach Hause gefahren. Sie hat einige Stunden auf meinem Sofa geschlafen, und dann ist sie gegangen, sie schien ein schlechtes Gewissen zu haben, weil sie mich belästigt hat. Ich selbst sitze vor dem Computer, da der einzige Klient des Tages abgesagt hat und ich mich entschlossen habe, zu Hause zu arbeiten.
Ich denke über Malins Geschichte nach. Zerbreche mir den Kopf, ob sie etwas damit zu tun haben kann, was Susanne passiert ist. Versuche, ihre Reaktionen zu verstehen, weiß, dass extreme Disziplin ein Schutz gegen das Gefühl von Ohnmacht, Erniedrigung und Angst sein kann.
Wie sehr ich mich auch anstrenge, ich kann sie mir nicht aus dem Kopf schlagen. Ich räume ein wenig auf, spüle, messe noch einmal das Schlafzimmer aus, um festzustellen, ob wirklich ein Kinderbett hineinpasst.
Dann kommt die Dämmerung, und ein weiterer Tag geht zu Ende.
Am nächsten Morgen finde ich fünf Mitteilungen auf meinem Anrufbeantworter. Vier stammen von Elin aus der Praxis, die Termine verlegen will, aber ihre Mitteilungen sind so konfus, dass ich keine Ahnung habe, wovon sie redet. Ich notiere mir im Terminkalender, dass ich sie am Montag anrufen und die Lage klären muss.
Die fünfte Mitteilung stammt von einem gewissen Roger Johansson. Er stellt sich als der Beamte vor, der im Mord an Henriks Freundin Susanne Olsson ermittelt, und bittet um baldigen Rückruf.
Roger Johansson meldet sich schon vor dem ersten Klingelton. Als würde er schon den ganzen Samstagmittag am Telefon sitzen und auf meinen Anruf warten. Er erklärt ohne weitere Einleitung, dass er mich treffen möchte, am liebsten noch heute. Ich schlage den Montag vor, aber er sagt, es sei wichtig, und er würde es zu schätzen wissen, wenn ich kurz vorbeischauen könnte. Als ich frage, worum es denn geht, antwortet er ausweichend, eine Strategie, die ich sehr gut von Markus kenne. Ich soll unvoreingenommen sein, wenn wir uns treffen, er will meine Reaktionen testen, meine spontanen Reaktionen. Wir verabreden uns für den Nachmittag bei ihm auf der Wache in Nacka Strand.
An seinem und Markus’ gemeinsamen Arbeitsplatz.
Denn Markus und Roger sind Kollegen, worüber Roger mich sehr rasch informiert. Kennen einander, sind in Kontakt, gehen manchmal zusammen Kaffee trinken. Aber bei dieser Ermittlung arbeiten sie nicht zusammen.
Vorsichtig öffne ich die Fenstertür. Die Vögel sind verschwunden, und ein seltsames Schweigen hat sich über meine kleine Bucht gelegt. Es ist fast windstill, und das Wasser ist eine bleigraue Decke. Dunkle Wolken
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