Das Trauma
sind von Norden her über den Himmel gezogen, und die Luft kommt mir kälter vor.
Ein Sturm scheint aufzuziehen.
Roger Johansson ist ein Mann mittleren Alters. Trägt Jeans, Hemd und Sakko. Und einen Ledergürtel mit einer großen Messingschnalle. Er ist einer der wenigen Schweden mit Schnurrbart. Aus irgendeinem Grund muss ich an den Mann in der Fernsehserie Dallas denken. Er sieht aus wie irgendein Kumpel von Bobby Ewing, wenn auch ohne Cowboyhut. Eine Art Anachronismus in Cowboyhemd, an Nacka Strand ausgesetzt, direkt aus dem Texas der achtziger Jahre.
»Ach, Siri. Sie möchten sicher wissen, warum Sie hier sind.« Er schaut mich an, und ich ahne hinter dem üppigen Schnurrbart etwas, das wie ein unterdrücktes Lächeln wirkt. »Ich möchte mit Ihnen über Malin Lindbladh reden. Sie waren ja bei dem Mord am Medborgarplatz dabei, und ich habe Fragen, die dieses und ein anderes Gewaltverbrechen betreffen. Markus hat Ihnen vielleicht von dieser Ermittlung erzählt?«
Roger beugt sich vor und schaut mich an, mustert mich forschend, auf eine Weise, die mir unangenehm ist. Als ob ich nackt vor ihm säße. Ich bin dankbar, weil ich freiwillig hier bin und nicht als Verdächtige. Ich nehme an, dass Roger ziemlich unangenehm werden kann. Jemand, den man lieber auf seiner Seite hat.
Wir sitzen in seinem Büro auf der Wache von Nacka. Draußen ist es schon dunkel, obwohl die Uhr erst drei zeigt. Das Licht der Straßenlaternen spiegelt sich im feuchten Asphalt, und einzelne Menschen ziehen auf dem Weg zur Bushaltestelle oder vielleicht Fähre in dem heftigen Regen, der von Norden her heraufgezogen ist, die Köpfe ein. Rogers Zimmer ist klein und vollgestopft mit Büchern, Papieren und Ordnern. Ein Radio läuft leise, »Das Wunschkonzert am Nachmittag«. Eine gewisse Monica grüßt ihren Liebling, und dann singt Ronan Keating.
»Waren Sie nicht vor einigen Jahren in einen anderen Fall verwickelt? Ist da nicht in Ihrem Garten jemand ermordet worden? Ihre Klienten leben offenbar gefährlich. Verdammt, ich wusste gar nicht, dass Therapie tödlich sein kann.«
Er lacht, kurz und wiehernd, und mir wird immer unbehaglicher zumute. Roger Johansson muss meinen Hintergrund kennen, muss wissen, was ich durchgemacht habe. Trotzdem macht er sich lustig darüber, was mir und meinen Klientinnen zugestoßen ist. Das ist unbegreiflich und unangenehm. Außerdem fragt er mich nach einer Klientin. Ich fühle mich immer gereizter.
»Ja?«, sage ich fragend.
»Ja, Malin, sie gehört also zu einer Art Gruppe für misshandelte Frauen, die Sie leiten. Stimmt das?«
Roger mustert mich forschend, in seinem Blick liegt eine Mischung aus Mitleid und Herablassung. Ich fühle mich klein, hilflos. Sollte die Polizei nicht für solche wie mich da sein? Um uns zu helfen und uns zu beschützen? Oder gibt es das nur in Fernsehkrimis aus Hollywood?
»Es ist eine Gruppe für Frauen, die Gewalt ausgesetzt sind, nicht nur für misshandelte Frauen. Und was Malin angeht, so kann ich nicht über sie sprechen. Ich stehe unter Schweigepflicht. Wer bei mir in Behandlung ist, wird vertraulich behandelt.«
»Vertraulich. Aha. Aber Malin sagt ja selbst, dass sie bei Ihnen in Behandlung ist und dass wir mit Ihnen reden dürfen. Wir haben sie ja vernommen, nach den tödlichen Schüssen auf …«
Er zögert, als könnte er sich nicht an Hillevis Namen erinnern.
»… auf die Klientin, die in derselben Gruppe war. Und jedenfalls möchten wir nur einige Auskünfte von Ihnen bestätigt haben. Können Sie mir vielleicht etwas mehr über diese Gruppe sagen?« Er schaut mich herausfordernd an.
»Ja, also … es ist eine Art Selbsthilfegruppe. Für Frauen aus der Gemeinde Värmdö, die Opfer von Gewalt wurden. Es geht darum, die Teilnehmerinnen zu stärken und ihnen langfristig Bewältigungsmöglichkeiten zu geben.«
»Aha, ja, das klingt ja … gut, nehme ich an. Wir von der Polizei haben ja nur selten Zeit, Gewaltopfern die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie verdienen.«
Ich sehe in seinem Blick etwas brennen, schwach, aber doch vorhanden, da ist etwas, Pathos vielleicht. Empathie? Und ich ahne, dass es Engagement gibt hinter der Bullenfassade und dem überdimensionalen Schnurrbart.
»Malin Lindbladh wurde vor zwei Jahren in Gustavsberg vergewaltigt. Ist Ihnen das bekannt?«
»Sicher, das gehört zu den Dingen, die wir in der Gruppe diskutiert haben.«
»Sie hat also erzählt, was passiert ist?«
»Sie hat detailliert erzählt, was ihr passiert ist. Ja. Sie
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