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Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Grebe
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zu einer längeren Beziehung fähig ist.
    »Ich freue mich für dich.«
    Sie lächelt unsicher und schaut mich aus ihren großen grauen Augen an.
    »Wenn ich ehrlich sein soll …«
    »Ja?«
    »Es ist nicht so einfach, sich einem anderen Menschen auszuliefern. Ich meine, wenn ihm etwas passiert …« Ihr Blick verdüstert sich.
    »Das ist doch der Sinn der Sache?«
    »Und was hat das hier zu bedeuten?«
    Sie zeigt auf die Cola, die neben mir steht, und ich weiß, dass sie etwas vermutet, vielleicht schon lange ahnt. Aina kennt mich so gut, sie weiß, dass ich nach sechs Uhr niemals etwas anderes trinken würde als Wein. Kennt alle Entschuldigungen, die ich anwende, um mir das zu gönnen, was mein Körper braucht.
    Ich sehe sie an. Sie macht ein ernstes Gesicht.
    »Stimmt das?«
    Und ich merke, wie aus eigener Kraft ein Lächeln in meinem Gesicht wächst.
    »Mensch, das ist ja toll!«
    Sie springt auf, beugt sich über den Tisch, wirft fast ihr Bier um, umarmt mich, und ich sauge den Honigduft ihrer Haare ein, den ich so gut kenne.
    »Irgendwann im Frühling«, sage ich fast außer Atem.
    »Spitze. Wirklich. Aber du, was wird denn jetzt aus der Praxis?«
    Ich sehe sie verständnislos an. Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Die Praxis wirkt weit weg und belanglos im Vergleich zu dem Leben, das in mir wächst.
    »Aus der Praxis?«
    »Ja, was machen wir mit deinen Klienten? Denn du willst doch wohl nicht ganz normal weiterarbeiten, oder?«
    »Ich weiß nicht …«
    »Und dann ist da ja die Miete. Wenn du nicht arbeitest, sollen Sven und ich die uns teilen, oder wie stellst du dir das vor?«
    Aina runzelt die Stirn und mustert mich besorgt.
    »Ich weiß noch nicht so recht, wie ich es machen soll.«
    »Elin ist ja auch nicht gratis«, sagt Aina, als hätte sie mich nicht gehört.
    Plötzlich erfüllt mich eine stille Enttäuschung. Die Erkenntnis, dass dieses für mich lebensumwälzende Ereignis für Aina vor allem ein praktisches Problem darstellt. Ich schaue mein Colaglas an, das neben mir auf dem Tisch steht, und denke, dass ich fast alles für ein Glas Wein geben würde.
    Nur ein Glas.

In der Nacht träume ich wieder von Hillevi.
    Sie sitzt neben mir auf dem Bett, und der Mondschein ist wie Silber in ihrem Haar. Statt des schönen schwarzen Kleides, das sie bei unserer letzten Begegnung getragen hat, hat sie ein weißes langes Hemd, über ihrer Taille wächst ein rotschwarzer Fleck bedrohlich an, und ich nehme den süßlichen Geruch ihres Blutes wahr.
    Sie ist barfuß, und ihre schmalen feinen Füße sind schmutzig, als wäre sie von draußen gekommen, über die Felsen am Meer.
    Sie sieht besorgt aus, die dunklen Augen wandern über meinen Körper, während ich wie gelähmt unter der Decke liege.
    »Das ist deine Schuld«, sagt sie. »Es ist deine Schuld, deine Schuld, deine Schuld, deine Schuld.«
    Und ich kann keine Antwort geben, denn meine Kehle ist vor Angst und Trauer wie zusammengeschnürt. Ich möchte sie berühren. Meine Hand, meinen Körper anbieten, als Trost. Als einzigen Trost, den ich ihr geben kann, aber meine Glieder gehorchen mir nicht.
    Sie scheint eine Weile zu überlegen, schaut aus meinem Fenster, hinaus zum Mond und dem Meer, das bleischwer vor den Felsen ruht. Mustert die Streifen aus Reif an der Fensterscheibe, scheint über deren Schlangenmuster nachzudenken.
    »Wenn ich nicht zu dir gekommen wäre«, flüstert sie und fährt sich mit der Hand über den Bauch, und ich kann sehen, wie die Hand sich rot färbt, während Blut aus ihrem dunklen Leib gepumpt wird. »Wenn ich nicht zu dir gekommen wäre, wäre ich noch bei meinen Kindern. Nicht wahr? Sie brauchen mich. Was soll jetzt aus ihnen werden?«
    Ihre Augen, schwarz und stumpf wie Kohlestücke, begegnen meinen, und ich schreie und schreie, aber kein Laut kommt über meine Lippen. Ich spüre, wie Hillevis kaltes Blut sich um meinen Leib legt, wie es in der Senke, wo ich liege, eine Lache bildet.
    »Versprich mir, den Kindern zu helfen«, sagt sie, und plötzlich bin ich nicht mehr gelähmt und spüre, wie ich ihr zunicke.
    Sie nickt kurz zurück, dann ist sie verschwunden.

Der Hang unterhalb des Söderkrankenhauses kommt mir ungewöhnlich steil und unwegsam vor. Zwei ältere Damen mit Stöcken überholen mich und gehen mit raschen Schritten weiter zum Sachsschen Kinderkrankenhaus. Meine Kondition wird immer schlechter. Ich komme mir vor wie von einer schweren Krankheit getroffen. Die Hebamme hat versichert, das sei nur die

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