Das Trauma
Schwangerschaft. Das sei normal.
Alles sei normal.
Markus ist aufgeregt, erwartungsvoll. Redet ununterbrochen, springt von einem Thema zum anderen. Arbeit, Weihnachten, das Haus seiner Eltern oben in Skellefteå, wo sein Vater gerade eine Erdwärmeheizung installieren lässt. Ich antworte einsilbig, versuche zuzuhören, kann mich aber nicht konzentrieren. Meine Gedanken kehren immer wieder zu meinem letzten Besuch in der Ultraschallabteilung des Söderkrankenhauses zurück. Der ernste, angespannte Arzt. Das Kind so schwer behindert, dass es nicht überleben könnte.
Das Unfassbare.
Das, was meine und Stefans erste Begegnung mit unserem ungeborenen Kind hätte werden sollen, verwandelte sich in einen Albtraum voller lateinischer Wörter, Diagnosen, Erklärungsversuche. Warum unser Kind behindert sei. Warum unser Kind nicht leben könne.
Jetzt gehe ich denselben Weg mit einem anderen Mann. Dieselben Bürgersteige, dieselben Häuser. Dieselben grauen, verputzten Fassaden. Alles ist dasselbe, aber die Welt ist anders. Nichts ist so, wie es war.
Markus redet jetzt nicht mehr, er blickt mich aufmerksam an. Er sieht so verzweifelt jung aus, mit seinen zerzausten ungeschnittenen Haaren, nass vom Regen, der unermüdlich aus den schweren Wolken fällt.
»Anstrengend?« Markus’ Blick, voller Unruhe und Fürsorge. Es ist rührend, und ich weiß es zu schätzen, aber zugleich fällt es mir schwer, mit seiner Fürsorge umzugehen. Ich will mich selbst nicht als schwach und bedürftig sehen.
»Ja, doch, ein bisschen.«
Wir gehen durch die Glastür in der Querseite, die zur Frauenklinik führt. Die Frau am Schalter, hinter der Glasscheibe, fragt, ob wir zum Ultraschall oder zur Entbindung wollen. Das Gefühl von Unwirklichkeit wird immer stärker. Mein Herz hämmert, schlägt rasch, und ich habe Atemprobleme, kriege nur mit Mühe genug Luft. Ich habe solche Sehnsucht nach einem Glas Wein. Natürlich ist das unmöglich. Kein Wein. Das habe ich versprochen. Kein Wein, kein Alkohol. Nicht einmal ein Bier.
Wir lassen uns auf die unbequemen Stühle des Wartezimmers sinken, und ich sehe mir die übrigen Anwesenden an. Eine hochschwangere Frau isst einen Apfel und liest dabei eine Illustrierte. Sie hat ihre Stiefel ausgezogen und die Füße auf den Stuhl gegenüber gelegt. Die Füße sind geschwollen, und ich staune darüber, dass sie überhaupt gehen kann. Ein junges Paar hat ein kleines Kind auf dem Schoß und liest ein Buch. Das Kind zeigt auf etwas im Buch und lacht dann glücklich. Das Paar wechselt einen Blick und lacht ebenfalls. Dass sie zusammengehören ist selbstverständlich, greifbar.
Eine hochgewachsene Frau in grüner Krankenhauskleidung kommt auf uns zu. Sie hat die dunklen Haare zurückgekämmt und mit einer Spange aus Schildpatt befestigt. Um den Hals trägt sie einen dünnen Lederriemen mit einem schwarzen Anhänger, der afrikanisch aussieht. Ich überlege, ob alle Hebammen natürlich und alternativ sind, ob sie lieber Wehmütter heißen würden und die Lamaze-Methode lehren möchten, oder ob es welche gibt, die moderne Technik lieben und gern medizinische Schmerzstillung anwenden würden.
Die Frau stellt sich vor als Helena und erklärt, dass sie die Untersuchung vornehmen wird. Wir gehen mit ihr durch den Gang, in ein kleines und stickiges Sprechzimmer. Es ist so eng, dass kaum genug Platz für drei Personen ist. Es ist warm, zu warm. Das Gefühl, keine Luft zu bekommen, wird stärker, und ich merke, wie mich die Panik überwältigt.
Ich muss mich auf eine mit Krepppapier bedeckte Pritsche legen und die Jeans über die Hüften streifen, Markus sitzt auf einem Stuhl am Kopfende. An der Wand uns gegenüber ein Bildschirm.
Helena erklärt ausführlich und pädagogisch den Sinn der Ultraschalluntersuchung, dass man sich die Organe des Fötus ansieht und danach den Kopf misst, um Alter und Wachstum zu beurteilen.
»Ist das Ihr erstes Kind?« Helena lächelt, während sie durchsichtiges Gelee auf meinem Bauch verteilt.
Ahnungslos über die Macht dieser Frage, die elektrische Ladung.
»Es ist mein erstes Kind, ich bin also Neuling. Warum haben Sie Siris Bauch vollgeschmiert?«
Markus kommt mir zu Hilfe. Plaudert weiter mit der Hebamme, während ich die Augen schließe und meine Atemzüge zähle. Ich versuche, mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, meine Angst zu ignorieren. Ich höre Helenas Stimme, die beschreibt, was sie auf dem Schirm sieht, der zu ihr hingedreht ist, fort von uns, damit wir die
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