Das Trauma
sagt Aina. »Aus der Besprechung wird ja doch nichts. Verdammt, was sind die heute alle emotional!«
»Kannst du das nicht machen«, sage ich. »Ich würde gern ein paar Worte mit Sven wechseln.«
Aina zuckt mit den Schultern und nickt.
Sven sitzt im Schreibtischsessel in seinem Büro. Die Lampe ist gelöscht, und im Dunkeln kann ich die Glut seiner Zigarette sehen, dabei haben wir beschlossen, dass er in der Praxis nicht rauchen darf.
Langsam lösen die Umrisse seiner Möbel sich aus der Dunkelheit. Papierhaufen liegen auf dem Boden herum. McDonalds-Verpackungen füllen den Schreibtisch. Ein Stuhl in der Ecke ist umgekippt, vermutlich vom Gewicht von Svens blauem Mantel, der daneben auf dem Boden liegt.
Es riecht nach Zigarettenrauch und noch etwas anderem. Verdorbenen Lebensmitteln? Altem Käse?
»Herrgott, Sven …«
Er gibt keine Antwort. Zieht nur an seiner Zigarette, so dass das glimmende Auge zu neuem Leben erwacht.
Ich gehe neben ihm in die Hocke, lege ihm die Hand auf den Arm. Merke durch seinen feuchten Wollpullover, wie er zittert.
»Ich hatte doch keine Ahnung … dass es so schlimm ist.«
Langsam beugt er sich vor, senkt den Kopf über eine leere Big-Mac-Verpackung. Schnieft laut hörbar.
»Sie fehlt mir so. Warum ist die Liebe so verdammt schwer?«
Und ich gebe keine Antwort, denn auf diese Frage gibt es keine. Ich streichele seine dichten welligen Haare und verlasse das Zimmer so leise, wie ich gekommen bin.
Aina sitzt vor mir in einer der engen Nischen des Pelikan. Ein großes schäumendes Bier steht vor ihr auf der dunklen, zerkratzten Tischplatte. Ich trinke Cola, auch wenn ich lieber ein Bier hätte. Oder vielleicht noch lieber ein Glas Wein.
Aina stürzt ihr Bier gierig hinunter, während ich vorsichtig an meiner Cola nippe.
»Ich habe alle angerufen«, beginnt sie.
Ich nicke stumm und sehe mich im Lokal um. Eine Mischung aus dem jungen hippen Söder, normalen Arbeitern, die auf dem Weg nach Hause einen zischen, und den obligatorischen Pennern, die sich stumm und zielstrebig dem Suff ergeben.
Die dunkel lackierte Wandtäfelung gibt das Licht der Kerzen wider. Durch die kleinsprossigen Bogenfenster kann ich einzelne verfrorene Södermalm-Bewohner in der Dunkelheit vorübergehen sehen.
Aina nickt mir über ihrem Bier hinweg zu.
»Sie wollen noch einige Male kommen. Wollen wohl eine Art Abschluss. Außerdem glaube ich, haben alle ein Bedürfnis, darüber zu sprechen, was geschehen ist.«
»Dann machen wir es eben so. Du … es ist noch etwas passiert.«
Aina schaut auf, sieht besorgt aus.
»Was denn?«
»Malin war bei mir zu Hause.«
»Bei dir zu Hause? Warum denn das?«
Aina blickt mich geschockt an.
»Um mir etwas zu erzählen. Hast du gewusst, dass Susanne Olsson eine von denen war, die dem Vergewaltiger das Alibi gegeben haben?«
»Die Susanne Olsson? Die ermordet wurde?«
»Genau.«
»Machst du Witze?«
»Absolut nicht. Ich war auch bei der Polizei und habe darüber aussagen müssen.«
»Bei der Polizei? Warum das denn?«
»Ich nehme an, es bedeutet, dass Malin vielleicht eine Art Motiv hatte, um Susanne zu ermorden, theoretisch jedenfalls.«
»Herrgott, glauben die das?«
»Das hat man nicht direkt so gesagt, aber natürlich müssen sie sich jetzt über sie informieren.«
»Aber Susanne Olsson ist doch von einem Mann ermordet worden!«
»Ja, ich weiß auch nicht. Dachte nur, du solltest das wissen.«
»Wissen das die anderen aus der Gruppe? Weiß Kattis das?«
»Ich glaube kaum. Es ist Malin ungeheuer schwergefallen, darüber zu reden.«
»Ich habe doch gesagt, dass Malin gestört ist.«
Ich mustere Aina, wie sie da vor mir sitzt, die Zähne zusammengebissen und die Arme vor der Brust verschränkt.
»Manchmal finde ich dich ein wenig …«
»Was denn? Sag schon. Hart?«
»Ja. Vielleicht.«
Ich spüre, wie meine Wangen heiß werden, verliere plötzlich alle Lust auf meine Cola, schiebe das Glas mit einer energischen Handbewegung zur Seite. Will nicht mehr über Malin reden, nicht daran denken, was passiert ist, seit sie und die anderen Frauen aus der Gruppe in unser Leben getreten sind.
»Wie steht es mit deinem Typen?«, frage ich deshalb.
Aina entspannt sich, legt die Hände auf ihre Knie, lächelt ein wenig.
»Mit meinem Typen, ich weiß nicht … aber es geht gut. Das hättest du mir nie zugetraut, was?«
In ihrem Tonfall liegt fast etwas Triumphierendes. Ich schüttele den Kopf, denke, dass sie Recht hat, ich habe wirklich bezweifelt, dass sie
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