Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
gekommen. Petruschka spricht immerfort von dir. Géraldine, ma Géraldine!«
Unwillkürlich nannte er sie bei dem Namen, den sie getragen hatte, als sie sich in Paris nach monatelanger Trennung unerwartet wiedersahen. Auch damals hatten sie lange nichts voneinander gehört und die Hauptsache dennoch gewußt.
»Ich gehe mich nur schnell umziehen. Setz dich inzwischen hier auf die Bank. Bin gleich wieder da.«
Sie saß auf der Bank, und ihre Augen brannten unerträglich.
»Weißt du, daß sich Franta ein Motorrad gekauft hat?« zwei hübsche Blondinen rauschten in großgeblümten Kleidern an ihr vorbei. Ein alter Mann zog einen Gartenschlauch heran und begann ihn am Rande des Rasens langsam auseinanderzurollen. Alle haben ihren Platz, irgendein Ziel. Ihre Kehle war zusammengeschnürt, so daß sie nicht einmal leer schlucken konnte.
Warum essen Sie nicht? Sie glauben doch nicht im Ernst, daß wir hier einen Hungerstreik dulden würden? Wollen Sie in die Zwangsjacke?
Ein Mann und eine Frau in Trauerkleidung schüttelten umständlich einen großen Strauß gelber Dahlien zurecht, ehe sie den nächsten Pavillon betraten. Ihr Kopf schmerzte, alles in ihr bebte. Irgendwo schaltete jemand den Rundfunk ein. Aus dem geöffneten Fenster hinter ihr erklangen die weichen Stimmen von Violinen. Plötzlich gab alles in ihr nach. Sie konnte sich gerade noch die Augen verdecken.
Pavel Starek kannte seine Frau gut. Sie hatte nicht geweint, als sie im Krieg von der Gestapo umstellt wurden,sie hatte bei der schweren Geburt ihrer Petra nicht geweint und auch nicht, als man sie an jenem Tag vor zwei Jahren holen gekommen war, wer weiß wegen welcher unsinnigen Beschuldigung. Jetzt war sie nicht zu beruhigen. Was hatte man mit ihr in den zwei Jahren angestellt?
Als sie sich wieder in der Gewalt hatte, gingen sie zusammen einen kleinen Fluß entlang und versuchten, über alltägliche Dinge zu sprechen. Nur die langen Pausen zwischen den einzelnen Sätzen sagten mehr.
»Ich habe bei Hradeckýs geschlafen. Dort habe ich auch erfahren, wo ich euch finde.«
»Ich war sicher, daß du noch im Laufe des Sommers zurückkommst. Nach dem Tod Stalins und dem, was dann folgte, konnte ich es kaum noch ertragen. Morgen lasse ich dich bei uns im Krankenhaus gründlich untersuchen.
Machen Sie sich nichts vor, zu Hause weiß man auch schon allerhand über Sie.
»Du arbeitest im Laboratorium, Pavel? Nicht als Arzt?«
»Vorläufig, weißt du. Ich bin ja auch noch nicht lange hier.«
Ihre Frau sitzt, Sie selbst sind verdächtig, auch wenn wir Sie im Laboratorium anstellen, riskieren wir etwas.
»Kann sich Petra überhaupt noch an mich erinnern?«
»Du Dummes, kann man denn seine Mutti vergessen? Hätte ich das zugelassen?«
Die Stadt ringsum kreischte, schrie, eilte, war ganz mit sich beschäftigt, hatte sonst kein Interesse, hatte keine Zeit. Die Stadt kannte sie nicht, war auf sie nicht neugierig, brauchte sie nicht. Wen kümmerte es, daß sie nun hier leben sollte.
»Pavel, du fragst gar nichts. Ich habe aber wirklich nichts . . . Es war zum Wahnsinnigwerden.«
»Mir mußt du doch nichts erklären. Wir gehen jetzt nach Hause – sehr schön ist es nicht gerade, aber es könnte schlimmer sein –, und ich werde Petruschka holen.«
»Gut.« Sie blieb stehen. Konnte sich schon wieder nicht von der Stelle rühren.
Als sie endlich zu dem Haus in der unschönen schmalen Gasse kamen, wies Pavel Starek auf zwei Fenster schon fast unter dem Dach.
»Dort ist unsere Wohnung.« Auf dem Fenstersims rauften Spatzen. »Ich streue ihnen immer morgens die Reste vom Frühstück hin.«
Sie nickte bloß. Fenster, Spatzen, blauer Himmel. Und Pavel. Und in einer Weile Petruschka, Petruschka.
Das ist doch alles, warum juble ich nicht, warum möchte ich am liebsten schon wieder heulen?
»Pavel«, sagte sie und blickte ihn dabei nicht an, »ich bin wie ausgelöscht, jeder Gedanke in meinem Kopf lauert mir auf. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, daß ich einmal wieder wirklich frei sein werde.«
»Aber Géraldine«, sagte er leise und öffnete das Haustor, »du bist doch unsere Géraldine.«
Die Kleine blieb an der Küchenschwelle stehen. Atemlos. Als ihr Vater mit einemmal im Schulhort erschienen war und sagte: »Komm schnell nach Hause, Mutti ist da!«, war sie den ganzen Weg gelaufen. Auf der Treppe begann sie zu trödeln. Jetzt stand sie in der Tür und richtete denselben Blick auf die Mutter, wie die auf sie.
Warum ist sie so blaß
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