Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
auf einem vorwärts stürmenden Hirsch mitschleifend. »Wie lebendig«, pflegten die Leiter der lokalen Verkaufsstellen zu sagen, wenn sie zum monatlichen Einkauf in der Musterabteilung vorsprachen, »ungeheuer gefragt.«
Chef Hrabal versprach Bretter zum Bedecken der feuchten Bodenfliesen zu besorgen und beabsichtige die Musterabteilung sogar geschmackvoll einzurichten. Tatsächlich ließ er die langen Holztische, auf denen dieMuster ausgestellt waren, mit großflächigen Scherben von Spiegelglas bedecken. Jedes Hündchen, jedes Glühwürmchen, jede Gänseliesel und jede Tänzerin gab es nun zweimal, Stalin und Gottwald standen zugleich auf dem Kopf und auf den Füßen, jede Vase nahm neue, ungeahnte Formen an.
In dem gewölbten Kellerraum war es wohltuend still. Zwei kleine Fenster führten auf eine Wiese unter dem alten Schloß. Dort wippten Blümchen im Wind, hie und da ragte eine sattgelbe Sonnenblume in die Höhe, schwankte fröstelnd in der grünen Feuchtigkeit, sehnte sich, wie die Frau an dem kleinen Fenster, nach mehr Wärme und Licht. Die Mustergegenstände aus Glas auf den langen Tischen glänzten und glitzerten, wenn ein Sonnenstrahl in das Gewölbe eindrang, und wenn sie die Hand der Frau sacht berührte, klirrten sie leise, jedes mit der ihm eigenen Stimme, die sie mit der Zeit zu unterscheiden lernte. So verlebte sie in dem Verließ voll von Spinnweben und Mäusegeraschel Stunden eigenartiger Verzauberung.
Man hat mich an einem neuen Ufer ausgesetzt. Das ist nicht mehr der geräuschvolle, unruhige und wilde Strom, den ich von früher gewohnt war. Das ist ein Bächlein, das ganz woanders fließt, durch ein unbekanntes, vielleicht sogar überflüssiges Flußbett. Und das ist gut so, weil ich ja ohnehin zu nichts anderem mehr nutze bin. Jetzt schon nicht mehr, nach all dem, was gewesen ist.
»Wirklich, ich habe Sie mir ganz anders vorgestellt«, wiederholte Chef Hrabal nach einigen Wochen noch einmal. »Als man mir in der Direktion eröffnete, daß sie mir ein Frauenzimmer schicken, das jetzt in unserer Stadt lebt, weil es irgendein Malheur hatte – sie haben mir nichts Näheres gesagt, angeblich wissen sie selbstnicht mehr, das ein halbes Dutzend Fremdsprachen kann und in der halben Welt herumgekommen ist, da habe ich mir gesagt: Na Mahlzeit! Das hat uns gerade gefehlt! Stellen Sie sich vor, daß ich mir eingebildet habe, Sie würden eine entfärbte Blondine sein, mit rot lackierten Fingernägeln und so. Lustig, nicht? – Sagen Sie, und das dort, Sie wissen schon, was ich meine, das war alles Unsinn, nicht?«
»Ich darf darüber nicht sprechen.«
»Also wirklich Unsinn. Na, mir kann es egal sein, Hauptsache, Sie sind keine entfärbte Blondine. Möchte Ihre Kleine nicht mal mit meinen Kindern spielen? Sie sind zwar ein bißchen jünger, aber das macht wohl nichts.«
Petruschka besuchte ihre Mutter gern in der Musterabteilung. Sie bewunderte »die schönen Sachen«, durfte einen kleinen Pinguin mit angebrochenem Flügel mit nach Hause nehmen und fürchtete sich allmählich nicht einmal mehr vor Frau Hrubá.
»Fräulein«, rief die Alte mit ihrer rauhen Stimme, sowie sie Petruschka von ihrem Beobachtungsposten an der runden Fensterluke erblickte, »Fräuleinchen, wo stecken Sie? Ihre Kleine kommt.«
Einmal stieg sie mühsam auf die Straße hinunter, klopfte an die Tür der Musterabteilung und bat:
»Ich habe nichts, woraus ich trinken kann. Leihen Sie mir ein Töpfchen, Fräuleinchen, ich gebe es Ihnen wieder zurück. Ich habe nichts woraus zu trinken.«
Sie gab ihr einen Kaffeetopf mit fehlerhaftem Muster. Zwischen rote Tupfen waren ein paar schwarze geraten.
»Haben Sie nichts mit Blumen?« brummte die Alte unzufrieden.
»Dieses Töpfchen müssen Sie aber nicht zurückbringen,Frau Hrubá. Ich gebe Ihnen noch einen Teller dazu, den können Sie auch behalten.«
Die Alte hob eine zitternde Hand, strich ihr mit schmutzigen Fingern übers Gesicht und brach in Tränen aus. Wortlos humpelte sie mit ihren Schätzen in ihre Behausung zurück.
»Die ist verrückt«, sagten die Frauen im Warenlager, »aber sie tut niemandem etwas zuleide. Nur wenn sie jemand reizt. Herr Vojtech beschimpfte sie einmal, nannte sie eine Hexe. Da warf sie ihm einen Topf mit Speiseresten nach, und seither spuckt sie jedesmal aus dem Fenster, wenn er vorbeigeht. Was wollen Sie, die Arme ist alt und ganz allein.«
Alt und ganz allein. Wie war das überhaupt möglich? Die wohl noch einzige lebende – wenn auch entfernte
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