Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
– Verwandte eines weltberühmten Komponisten in ihrer greisenhaften Verwirrung die Spottfigur einer Kleinstadt! Eines Tages war es dann soweit, daß man sie gewaltsam wegholen und in einer Irrenanstalt unterbringen mußte, weil sie allein nicht mehr zurechtkommen konnte, den ganzen Tag und auch nachts schrie und die wenigen Passanten in der stillen Straße, die zu dem alten Schloß führte, wütend beschimpfte. Nur mit der blassen Frau zwischen den Porzellanwaren und Glasfiguren in dem modrigen Gewölbe unter ihrer Behausung machte sie eine Ausnahme.
»Fräuleinchen«, sagte sie ihr einmal, »Sie haben viel Leid im Gesicht. Das erkenne ich, weil ich selbst voll von Leid bin. Aber sagen Sie es niemandem. Großes Leid ist ein Geheimnis, so wie große Freude. Die gibt es aber nur selten.«
Und als man sie fortbrachte, wehrte sie sich und schrie: »Gebt mir wenigsten meinen Teller mit, ihr Vagabunden,und auch meinen Kaffeetopf. Und schlagt die unten nicht tot, weil sie ihn mir gegeben hat.«
Noch tage- und nächtelang verfolgten Barborka die Schreie der verrückten armen Alten.
Die Arbeiterinnen im Lager des Betriebs waren gutherzig und lustig und nahmen sie ohne überflüssiges Gerede unter sich auf. Erst mit der Zeit erfuhr sie, daß sie freilich allerhand über sie wußten.
»Sie haben ein schönes Mannsbild«, sagte eine von ihnen, nachdem Pavel sie am Tage zuvor mit Petruschka von der Arbeit abholen gekommen war, »das ist fürs Leben die Hauptsache. Auf alles andere husten Sie!«
Frau Mašková, eine hochgewachsene, kräftige Brünette mit regelmäßigen Gesichtszügen und ausgeglichenen Bewegungen, die in dem ganzen Haufen der eifrigen, schwatzenden und fleißigen Frauen, die am Morgen aus den Dörfern in der Umgebung auf dem Fahrrad zur Arbeit kamen und am Nachmittag nach Hause eilten, zu ihren Kindern, Kaninchen und Hühnern, in den Garten und ins Haus, zu den Hemden, Launen und der unentbehrlichen Wärme ihrer Männer, Frau Mašková, die hier den Ton angab, bot ihr eines Tages einen mit Pflaumenmus bestrichenen und mit geriebenen Nüssen bestreuten Kuchen an und sagte:
»Gestern bin ich auf der Straße Genossin Marková vom Arbeitsamt begegnet, junge Frau. Sie hat nach Ihnen gefragt, und ich soll Sie von ihr grüßen. Da ist mir so eingefallen, ob Ihnen bei uns nicht manchmal ein bißchen schwer ums Herz ist. Wir sind schon an die ewige Rackerei und Scheißkälte hier gewöhnt. Aber Sie? Die Direktion hat Ihnen nicht einmal eine Pelzweste zugeteilt? Na, denen werde ich wohl mal was erzählen müssen. Hören Sie, wenn Sie etwas brauchen – sagenSie es mir bitte, ich weiß doch, wie das Leben ist. – Nehmen Sie noch ein Stück Kuchen, er ist ganz frisch, na greifen Sie nur zu, und nehmen Sie auch für ihre Kleine ein paar Stücke mit.«
»Frau Starková«, sagte eine andere Arbeiterin eines Tages, »ich habe Ihnen zwei Blumentöpfe mit Petunien aus unserem Garten mitgebracht. Stellen Sie sie zu Hause zwischen die Fenster, das macht die Wohnung gleich freundlicher.«
Wenn sie mit ihren kleinen Geschenken zu Hause anrückte, freute sich Pavel mit ihr, zeigte jedoch keine besondere Begeisterung.
»Ich bin froh, daß du dich bei den Kaffeetöpfen eingewöhnt hast«, scherzte er, aber es klang nicht überaus fröhlich. »Du wirst dort noch Karriere machen.«
Sie verstand, worauf er aus war. »Was kann ich tun, Pavel«, wehrte sie sich, »vorläufig würde ich sowieso nichts anderes fertigbringen. Was immer ich schreiben oder sagen würde, würden sie unter die Lupe nehmen und prüfen und . . .«
»Also aufgeben, Géraldine?«
Sie lagen nebeneinander auf einer Wiese am Fluß, Petruschka planschte mit anderen Kindern im Wasser, das Gras unter ihnen war von den letzten Strahlen der Herbstsonne durchwärmt, ihr Kopf lag geborgen in der Armbeuge des Mannes.
»Man könnte sich eigentlich einreden, daß schon alles in Ordnung ist, nicht? Wir sind zusammen, die Sonne scheint, ich habe Arbeit – bloß . . .«
»Bloß, daß wir uns niemals etwas eingeredet haben und du schon gar nicht.«
Sie seufzte. »Das war ein Glück, daß du damals in Paris der Gestapo entwischt bist, Pavel.«
»Und daß ich dich nicht aufgegeben habe«, sagte er leise und strich ihr über das magere Gesicht. »Nicht aufgeben, darauf kommt es vor allem an. Kannst du dich nicht zufällig erinnern, wer mich das gelehrt hat?«
Sie wollte etwas antworten, aber da kam Petruschka angelaufen, naß wie ein gebadetes Hündchen: »Ich habe
Weitere Kostenlose Bücher