Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
Musterabteilung sein«, verkündete Herr Hrabal.
»Sind Sie vom Fach? Sie verstehen etwas von Glas und Porzellan? Mich geht es schließlich nichts an, es ist nur wegen der Karteikarten, damit da nicht alles durcheinander gerät.«
Herr Vojtech sprach ebenso unfreundlich, wie er aussah. Sie wurde unruhig. Den sollte Petruschka nicht kennenlernen. – Auch, Unsinn, aber die trockene harte Stimme ruft Erinnerungen an bekannte Gefahren wach.
»Ich werde der jungen Frau schon alles zeigen«, Lída nahm sich der Neuen gutmütig an.
»Nach Prosit!« zischte Herr Vojtech.
»Frau Kucerová, geben Sie uns bitte die Schlüssel. Ich werde Frau Starková selbst einarbeiten.«
Die beiden Frauen tauschten einen vielsagenden Blick aus, Herr Klapka lächelte für alle Fälle dienstbeflissen, aber der junge Chef ließ sich nicht beeindrucken. Er nahm die Schlüssel an sich und trat mit ihr auf die Straße. »Es ist gleich nebenan. Nur ein paar Schritte von hier.«
Tatsächlich blieb er nach knapp fünfzig Metern stehen und steckte den Schlüssel in das Schloß eines morschen Holztores.
»Erschrecken Sie nicht, es sieht hier ziemlich wüst aus.«
»Wo willst du hin, du Strolch, ich laß dich sowieso nicht rein!«
Erschrocken zuckte sie zurück. Auch Hrabal blieb stehen. Aus einer runden Öffnung, die eher einer Schiffsluke glich als einem Fenster, unmittelbar über der Tür, fuhr der zerzauste Kopf einer zornigen alten Frau hervor. Sie überschüttete die Eindringlinge mit einer Flut grober Schimpfworte, schloß dann jäh den Mund, in dem bedrohlich ein einziger Zahn wackelte, und fragte in verändertem, beinahe weinerlichem Ton:
»Wer ist das Fräulein? Die habe ich hier noch nicht gesehen.«
»Das ist unsere neue Leiterin der Musterabteilung. Sie wird jetzt jeden Tag hierherkommen. Beschimpfen Sie sie nicht, Frau Hrubá.«
»Warum sollte ich sie beschimpfen, du Dummkopf, die ist gut, das sieht man an den Augen. – Haben Sie keine Angst vor mir, Kindchen, ich tue Ihnen nichts. Sie werden mir auch nichts tun, wie?«
»Nein«, flüsterte sie verwirrt, aber die Alte verstand sie seltsamerweise. »Wir zwei werden einander bestimmt nichts tun.«
»Die ist gut«, wiederholte die Alte beruhigt und schloß das Fenster.
»Eins zu null für Sie«, meine Hrabal und drehte endlich den Schlüssel im Schloß herum. »Die Alte ist verrückt, aber wirklich.«
»Lebt sie dort oben ganz allein?«
»Ja«, sagte der gleichmütig, »soll sogar eine entfernte Verwandte von Antonín Dvorák sein.«
Eine neue Welt. Nicht die aus Dvoráks symphonischer Musik, hier erschloß sich ihr die gegenwärtige neue Welt einer Kleinstadt, von der sie bisher kaum etwas gewußt hatte, verwesend und zugleich auch schon wuchernd, ineinander verwoben wie das frische Moos und der stinkende Schimmelpilz an den Wänden des düsteren Kellergewölbes, das soeben ihre neue Wirkungsstätte geworden war.
Sie gewöhnte sich überraschend schnell ein. Fand sogar Gefallen an der Musterabteilung, obwohl es dort den ganzen Tag dunkel war und das ganze Jahr hindurch feuchte Kälte in die Knochen biß. Aber was gab es hier nicht alles! Dickbäuchige Speise-, schlanke Kaffee- undMokkaservice aus Porzellan und Steingut, mit Blümchen, Tupfen oder Goldstreifen, Likör- und Weingläser aus gemaltem, gepreßtem, geschliffenem und geblasenem Glas. Gurkenflaschen, Behälter zum Eindünsten von Fleisch und Einweckgläser für Obst. Rosa, blaue, gelbe und rauchgraue Glaskugeln als Grabschmuck und Zylinder für Petroleumlampen. Blumentöpfe aller Größen und ein volles Dutzend verschiedener Nachttopfsorten, bemalt, glasiert, aus Porzellan, Tonerde oder Glas, groß und klein, elegant geschwungen und von derber Schlichtheit. Parfumflacons und Bierkrüge. Milchaufpasser, Spiegel und die mannigfaltigsten Blumenvasen. Sätze von Steingutschüsseln und geschliffene Glasjardinieren. Und erst die Zierfiguren! Aus geschliffenem, geblasenem und Hüttenglas, aus Porzellan und Ton. Einfarbig, bemalt und vergoldet. Winzig und gigantisch. Wanderburschen, Fliegenpilze, Eisbären (am Rande von Aschenbechern in Form von blaugrünen Eisschollen), Rehe, Pferde und tanzende Rokokopaare, Klement Gottwald, Bedrich Smetana und Stahlwerker beim Abstich. Ballettratten, Stalin und der sagenhafte Toman, der eine Waldjungfer entführt, wie es in einem klassischen tschechischen Poem geschrieben steht. Toman glasiert und unglasiert, aus Porzellan, Gips und Terracotta, die steife Jungfrau an einem Rockzipfel
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