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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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hergefahren sind durch den kalten Wintermorgen. Ich mußte es den beiden sagen.
    ». . . wende ich mich flehentlich an das Bezirksgericht Fürstenberg . . .« Ein Brief lag unter Vitrinenglas. Der verstörte Brief einer zu Tode erschrockenen Mutter.
    Fürstenberg? Da sind wir doch eben durchgekommen. Heute Eisbein mit Sauerkraut. Mandelduft frischgebackener Stollen. Fliederseife, kalte Dauerwelle. Auch damals?
    Noch eine Zelle und noch eine. Vielleicht war das Bild drüben oder unten im Erdgeschoß. Wo waren die beiden Männer? Der eine lief nervös von Dokument zu Dokument. Wortlos, die Pfeife ohne Feuer zwischen die Zähne geklemmt, schritt der andere von einem Schriftstück zum anderen. Auch sie suchten, das machte mich ruhiger.
    Auf einmal blieb mein Blick stecken. Das dunkle Frauengesicht dort hinten. Das habe ich doch schon irgendwo . . .
    Ausgeschlossen.
    Aber diese Gesichtszüge, die schön sein könnten, wenn sie nicht so grob wären. In der linken Ecke oben stand der Name: Carmen Maria Mory.
    Weiß Gott, die habe ich hier nicht gesucht!
    Es war ein ungewöhnlicher Tag damals in der öden Kette der übrigen, im Herbst 1939. Draußen regnete es, die letzten Blätter sanken raschelnd von dem alten Kastanienbaum vor dem vergitterten Fenster. Ich lief in meiner Zelle auf und ab, um die vor Kälte klammenFüße ein wenig warm zu bekommen. Dann kehrte ich wieder zu dem runden Schemel zurück und versuchte weiterzulesen.
    Seit Wochen saß ich nun in dem Pariser Zuchthaus, und was in diesem abgegriffenen Buch aus der Gefängnisbibliothek geschrieben stand, war für mich in höchstem Maße aufschlußreich und interessant. Der französische Offizier, der mir als Untersuchungsrichter zugeteilt war, hatte mir auf meine Frage, wo man mich denn eigentlich gefangenhalte, bereitwillig und höflich mitgeteilt, die Anstalt hieße La Petite Roquette. Der Name klang angenehm. In dem fensterlosen Polizeiauto, das mich vom Justizpalais durch Paris zurückschaukelte, wiederholte ich ihn wie den Refrain eines Chansons: La Roquette, La Petite Roquette . . . Zurück in der Zelle, blätterte ich sofort in dem französisch-englischen Wörterbuch nach, das ich gleichfalls aus der Bibliothek geliehen hatte, und stellte fest: roquette – tendril. Das englische Wort tendril heißt so etwas wie wilde Ranke. Ich befand mich also im Haus zur kleinen wilden Ranke.
    Am Abend desselben Tages brachte man mir ein Anstaltshemd. Grobes Leinen, dem der säuerliche Geruck der Gefängniswäscherei anhaftete. Am Rande des viel zu großen Ausschnitts entdeckte ich einen häßlichen schwarzen Stempel mit der Aufschrift: Maison de Saint-Lazare. Und das war ein berüchtigtes Gefängnis schon zu Zeiten der Französischen Revolution.
    Nun las ich die phantastische Geschichte von Mata Hari, der schönen Tänzerin, die die berühmteste Spionin des ersten Weltkriegs gewesen war und von den Franzosen erschossen wurde. Auch sie war in diesem Gefängnis gesessen, sogar in derselben Abteilung. Auch in jener Nacht, da sie die Offiziere holen kamen und,von ihrer Schönheit bewegt, einen Teppich auf die Fliesen des Korridors legen ließen, damit die Gefangene ihre Schritte nicht schon von weitem hörte, ehe die Abordnung bis zu ihrer Zelle gelangte, der letzten. Neben dem Arzt und dem Geistlichen soll auch eine Nonne von Saint-Lazare die Mata Hari bis vor die Gewehrläufe des Exekutionspeletons begleitet haben.
    Ich legte das Buch weg und betrachtete die schwere Zellentür, das vergitterte Fenster, das Eisengestell des Bettes, den Schemel, den Eimer, den irdenen Wasserkrug. Die letzte Zelle im Korridor. Ich lag in der letzten Zelle.
    Am Abend konnte ich lange nicht einschlafen. Alles war hier beklemmend. Die Stille, ein Schluchzen, das von irgendwo zu mir herüberklang, ein merkwürdiges Pfeifen draußen vor dem Fenster. Das Haus zur kleinen wilden Ranke. Sie muß giftig gewesen sein, aus solchem Boden.
    Ich warf mich von einer Seite auf die andere, hielt krampfhaft die Augen geschlossen, aber der Schlaf wollte nicht kommen. Da mischte sich ein neuer Ton in das Rauschen der Nacht. Erst von weit her, dann immer stärker anschwellend, immer näher kommend. Sirenen. Schon heulten sie vom Gefängnisdach auf. Flugalarm!
    Ich Gebäude gingen schlagartig die Lichter aus. Ich sprang aus dem Bett, langte im Finstern nach der Gasmaske, die zur pflichtgemäßen Ausrüstung jedes Häftlings gehörte, warf den Mantel über und stellte mich, wie es die Vorschrift für solche Fälle

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