Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
gebot, unter das Guckloch. Draußen wurden Türen auf- und zugeschlagen. Meine blieb verschlossen. Manche Frauen begannen in ihren Zellen hysterisch zu schreien. Die Sirenenwinselten weiter. Endlich wurde auch meine Tür aufgerissen, jemand leuchtete mir mit einer Taschenlampe ins Gesicht: »Venez! – Kommen Sie!«
Jemand schob mich durch den schwarzen Korridor, stellte mich neben jemanden. Dann scharrten viele Füße. Scheinbar bewegte sich ein ganzer Zug von Menschen durch die Finsternis. Eine Tür ging auf. Ein Lichtschimmer. Man drängte uns eine Treppe hinab. Ein schwach erleuchtetes Kellergewölbe tat sich vor uns auf, an den Wänden ringsum ein paar roh zusammengezimmerte Bänke.
»Niedersetzen! Es darf nicht gesprochen werden!«
»Und atmen darf man in diesem Loch?«
Ich wandte mich um. Die Frau, die das gesagt hatte, hochgewachsen, mit schwarzem Haar, buschigen, schwarzen Augenbrauen, ziemlich blaß, in einen eleganten Pelzmantel gehüllt, lächelte spöttisch. Sie zeigte nicht die geringste Spur von Nervosität.
Damals habe ich sie zum erstenmal gesehen.
Wir mußten uns auf die Bänke setzen. In der Mitte des Kellers standen einige Männer von der Garde Mobile, das Gewehr im Anschlag. In jeder der zahlreichen Ecken des Raums saß eine Nonne zwischen uns. Eine hatte ein wächsernes, von scharfen Furchen zerklüftetes Gesicht. Sie war sehr alt. Ich konnte den Blick nicht von ihr wenden, vergaß darüber die Aufregung über den Flugangriff. War sie es gewesen? Hatte sie die Tänzerin auf ihrem letzten Weg begleitet, bis vor die Gewehrläufe des Exekutionspelotons?
»Silence! – Ruhe dort!«
Zwei Gefangene hatten miteinander geflüstert.
»Gesprochen werden darf nur laut!«
»Also doch!«
Die Frau in dem eleganten Pelzmantel lachte mit rauher Stimme. Sie war zweifellos die auffallendste Erscheinung, anmaßend, selbstbewußt, fast herrisch.
»Die ist schon lange da«, raunte ein Mädchen mit merkwürdig verstörten Augen neben mir. »Eine Schweizerin.«
In diesem Augenblick wandte sich die Frau im Pelzmantel mir zu. »Neu?« fragte sie, wer weiß warum ironisch, und maß mich ungeniert von oben bis unten in einer überheblichen Art.
Ich verspürte keine Lust zu antworten.
Später erkannte ich die Stimme dieser Frau durch die geschlossene Zellentür. Keine andere Gefangene sprach so laut, keiner anderen wäre es eingefallen, den Direktor der Militärabteilung des Gefängnisses, einen farblosen, dürren Offizier, bei der Zelleninspektion anzufahren: »Sie sehen ja wieder aus! Wie eine ausgequetschte Zitrone! Gehen Sie weg, es ist ohne Sie schon scheußlich genug hier!«
»Die Mory hat heute ihren Prozeß!« hieß es nach ein paar Monaten. Die ganze Division wußte es. Ich hatte sie noch zwei- oder dreimal im Keller gesehen, stets gleich beherrscht und anscheinend allem überlegen. Der wachhabende Offizier forderte uns jedesmal auf, laut zu sprechen, um geflüsterte Unterhaltungen zu unterbinden. Einmal redete man über die Gefängnislektüre, und ich erkundigte mich, ob die Mata Hari tatsächlich aus diesem Gebäude zur Exekution geführt worden war. Da hob die alte Nonnne wortlos den Kopf und blickte mich zum erstenmal an. Die Mory war fasziniert. »Die Mata Hari, sagen Sie, in diesem Haus? Sans blague!«
Nun ging sie vor die Richter. Die Aufseherinnen waren erregt, liefen wie aufgescheuchte Hennen hin undher. Sie selbst schien wie immer ruhig zu sein. Ihr Schritt klang fest und regelmäßig, als sie durch den Korridor geführt wurde. Eine Stunde später mußte ich zum Verhör. Als ich am Abend ins Gefängnis zurückgebracht wurde, schien sich die Nervosität in der Division noch gesteigert zu haben.
»Ich haben Ihnen die Suppe warm gestellt«, sagte die Aufseherin, eine ältere Frau. Das kam sonst nicht vor. Als sie mir den Napf hinhielt, zitterten ihre Hände derartig, daß die Suppe überschwappte. Sie blieb in der Tür stehen und sah mir zu, während ich aß. Auch das war ungewöhnlich.
Todesurteil, hieß es am Abend von Zelle zur Zelle, sie haben die Mory zum Tode verurteilt. Als man sie endlich zurückbrachte, raste sie, schrie unverständliches Zeug. Mit einemmal wurde sie ruhig. Als der Direktor nach ihr sehen kam, warf sie ihn wie immer wütend hinaus.
»Du kennst diese Frau?«
Der eine der beiden Männer blickte mich fast besorgt an. Ich starrte noch immer auf das dunkle Foto.
»Wir saßen zu Kriegsbeginn in Paris im selben Gefängnis.«
Blockälteste von Nr. 10, stand auf einem
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