Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
Parfümfläschchen und herzförmig arrangierten Lippenstiften. Von Himbeerrosa bis zu Rubinrot.
Wir bogen nach rechts ab.
Dort, wo sich das asphaltgraue Band der Landstraße gabelte, stand ein Denkmal. Ein paar dünne Gestalten, Röcke an den steckenähnlichen Beinen. Frauen. Aber unter ihren Kitteln gab es keine Rundung, in der festgehaltenen Bewegung keine Weichheit. Frauen mit kahlgeschorenen Köpfen, mit viel zu tief eingefallenen Augen und mit einer erbärmlichen Tragbahre in den mageren Händen, auf der etwas lag. Etwas Flaches, Unwahrscheinliches. Ein gewesener Mensch. Zur Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück stand auf einem grauen Täfelchen darunter, aus dessen Mitte rot das Dreieck der politischen Häftlinge leuchtete. Rubinrot, wie die Lippenstifte . . .
Ich hätte Blumen mitbringen sollen. Oder sonst irgend etwas.
Auf dem Hang zur linken Seite standen solide, gut erhaltene Ein- und Zweifamilienhäuser. Vorgärtchen, Garten, dunkles Fachwerk.
»Hier haben sie gewohnt«, sagte der Mann am Lenkrad, »die Schweine von der SS.«
Ich aber mußte jetzt auf die andere Seite schauen, wo der Blick plötzlich durch nichts gehemmt wurde. Milchig weißes Licht zerfloß über einer völlig ruhigen Wasserfläche, nur da und dort segelte ein goldbraunes Blatt über die winzigen Wellen. Zwei Schwäne zogen erhobenen Hauptes von Ufer zu Ufer. Zwei schöne weiße Schwäne. Ein alter Baum lag schwarz und drohend über dem See. Hat er alles gesehen?
»Ich wußte gar nicht, daß Ravensbrück an einem Wasser liegt.«
Der Wagen blieb stehen, wir drei stiegen aus. Es war sehr ruhig ringsum und kalt. Das machten die großen Bäume am Ufer, die jedes Geräusch auffingen und die Sonne am Himmel verdeckten.
Ich blickte mich um. Kiesbestreute Wege, Blumenbeete. Wo war das Lager? Mich fröstelte. Ein wuchtiger Steinblock, in den ein paar tröstliche Sätze von Anna Seghers eingemeißelt sind. Mahn- und Gedenkstätte, ja doch, aber wo war das Lager? Ich sah nur zwei niedrige, graue Steingebäude, länglich hingestreckt. Auf das erste strebten wir zu. Aber das war gar nicht das erste, das war das allerletzte, das Lagerkrematorium.
Die geschlossene Tür war aus Glas, und drinnen dämmerte fahles Grau.
Sollte ich hier das Bild finden? Das Bild, das mich unterwegs zwischen den Birken anlächelte, am eisigen Himmel verblaßte, an kleinen Schlingen von den bereiften Regenrinnen hing?
»Komm!« Der Mann neben mir faßte mich am Arm, und wir gingen zu dritt auf das andere Gebäude zu.
»Sie befinden sich nun an der eigentlichen Mahn- und Gedenkstätte, die hier, im ehemaligen Strafbau, untergebracht ist.«
Ich fuhr herum. Den hageren Alten, der plötzlich hinter uns stand – Lodenmantel, Schaftstiefel, Knotenstock –, hatte keiner von uns kommen gehört.
»Wünschen Sie eine Führung?« fragte er höflich.
Nein, wir wünschen gar nichts an dieser Stelle zwischen dem ehemaligen Krematorium und dem ehemaligen Strafbau. Ich mußte das Bild sehen, sonst nichts.
Wer einmal aus dem Blechnapf frißt, hat Hans Fallada eines seiner Bücher betitelt. Wer einmal auf einer Gefängnispritsche lag. Wer einmal eine metallbeschlagene Tür zwischen sich und der übrigen Welt wußte. Wer einmal den Atem anhielt, wenn draußen Schritte näherkamen. Wer einmal reglos hinhörte, auf das Klappern und Rasseln, auf Kommandorufe und tonlose Häftlingsstimmen irgendwo draußen – der mußte ebenso zögern wie ich, ehe er diesen Korridor betrat. Wohl hatte man alle Türen aus den Angeln gehoben und entfernt, wir bewegten uns frei von einer Zelle in die andere. Dennoch. Kann sich ein Mensch je frei von einer Zelle in die andere bewegen?
Meine Augen glitten über Fotos und Sprüche und suchten. Das alles habe ich schon gesehen. Gewiß, anderswo, nicht an diesem Ort, aber all das kannte ich schon. Sprüche und Fotos. Gute Sprüche und gräßliche Fotos. Genug davon, schon genug.
Wo war das Bild?
Mit einemmal erschrak ich. Was, wenn es gar nicht hier war? Wenn ich es nicht finden würde? Mir wurde so schwach, als ob man mir jetzt, gerade in diesem Augenblick, auch noch das Letzte genommen hätte.
Eine Schulklasse trippelte vorbei. Scheues Flüstern, ungläubige Blicke. Und Eile, ach wie begreifliche Eile. So viele Fotos, so viele Sprüche. Kennen wir schon, habenwir schon gehört und gesehen. Läßt man uns immer wieder hören und sehen. Genug davon, schon genug.
Wahrscheinlich war das nicht die richtige Abteilung, nicht die, derentwegen wir
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