Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
Und mußte mich schnell an der Wand festhalten.
Die Anni ist eine phantastische Frau. So wie die Anni müßtest du einmal sein.
Sie war als Emigrantin nach Prag gekommen, da Hitler als »Befreier« nach Wien kam, und wo sie auftauchte, verdrehte sie jungen Männern den Kopf. Schon damals trug sie eine dicke Brille, aber merkwürdigerweise störte das gar nicht. Ihr gleichmäßiges Gesicht verlor dadurch nichts von seinem herben Reiz. Sie war ein wenig älter als ich und von Beruf Krankenschwester.
Die Samstagabende pflegten wir in jener Zeit im Hause eines befreundeten Ehepaares zu verbringen. Der Mann, Jossek, nicht allzu groß, eher wuchtig von Gestalt, mit einem breitknochigen Gesicht, hatte ungewöhnlich klare helle Augen. Seine ganze Person strahlte Freundlichkeit und Warmherzigkeit aus. Sein Vater, so erzählte er einmal, ein jüdischer Fleischer, wäre eine nicht gerade wohlhabende, aber sehr geachtete Persönlichkeit in seinem Geburtsort, einem polnischen Städtchen gewesen. Wir hörten Jossek immer mit Vergnügen zu, weil sein osteuropäischer Akzent jeder seiner Geschichten eine drollige Note verlieh. Den Namen derkleinen Stadt, in der er zur Welt gekommen war, vergaßen wir sofort wieder. Er war uninteressant, und wir hatten ihn nie zuvor gehört. Unser Freund Jossek stammte aus Auschwitz.
Frau Siddy, schlank, nervös, bald lustig, bald traurig, Hausfrau, Gattin und Mutter von zwei kleinen Mädchen, traute der Zukunft nicht. Die leicht verspielte Sorglosigkeit ihres Mannes beunruhigte sie. Deutschland nach Hitlers Machtantritt war ein ständiger Alpdruck für sie.
Wer zeitig zu diesen beiden kam, brachte etwas zum gemeinsamen Abendessen mit. Es war ein schlauchartiges Zimmer, in dem wir uns versammelten. Man saß auf dem alten Ledersofa, auf ein paar Stühlen, hauptsächlich aber auf dem Fußboden. Überall standen Kaffeetassen herum, Gläser mit Wein und Teller mit belegten Broten. Wer später kam, brachte etwas zum Trinken mit. Zuerst wurde stets musiziert. Corelli, Beethoven, Debussy. Später dann Duke Ellington, Dunajewski, Jaroslav Jezek.
Die Anni saß fast immer unter uns, stets lag irgendein Arm um ihre Schultern, immer wieder zog sie jemand hoch und tanzte mit ihr in dem Rechteck zwischen Sofa und Klavier. Ebenso ausgelassen oder so verträumt wie die beiden anderen Paare. Für mehr als drei war kein Platz. Gab es neuen Kaffee, öffneten wir das Fenster, ließen frische Luft herein, die Musik verstummte für eine Weile, und wir sprachen über dies und jenes. So ist mancher Plan in jenem Zimmer entstanden. Auch manche unverhoffte Liebe.
Als wir einmal an der Scheide zwischen Nacht und Tag endlich aufbrachen und uns im klirrenden Frost vor dem Haus schnell gegenseitig verabschieden wollten,bemerkte die Anni: »Nächste Woche müßt ihr mir alle den Daumen halten. Da werde ich schon unterwegs nach Frankreich sein. Ihr wißt doch, daß ich Krankenschwester bin. Bei den Interbrigaden in Spanien gibt es fast keine gelernten Schwestern.«
Dann habe ich lange nichts von ihr gehört. Nur daß sie den Krieg in Spanien überlebt hatte, wußte ich. Im Frühling 1941, als sich deutsche Soldaten und deutsche Spitzel schon in fast ganz Frankreich breitmachten, verbrachte ich zwischen Haft und Haft ein paar Wochen unter Freunden in Marseille. Gleich am ersten Tag zeigten sie mir, in welchem Gasthaus man mit ganz wenigen Lebensmittelkarten, schlimmstenfalls sogar ohne sie, verhältnismäßig satt werden konnte. Wir saßen an einem langen Holztisch, löffelten eine abscheuliche Suppe aus Fischflossen und tranken dazu unerwartet guten Rotwein, als plötzlich eine Frauenstimme sagte: »Wie kommst denn du hierher?« Eine Frauenstimme, die wie Annis klang. Ich fuhr hoch. Aber hinter mir stand eine junge rumänische Ärztin, die in Prag studiert hatte und dann auch nach Spanien gegangen war.
»Ach, Anjuta! Im ersten Augenblick, der Stimme nach, habe ich gedacht, du bist jemand anders. Die Anni aus Österreich, die in Prag war. Kennst du sie nicht zufällig?«
»Die Anni Peczenik? Ob ich die kenne! Habe mit ihr bis vor kurzem im Lager auf einer Pritsche geschlafen. Ein wunderbares Mädchen.
Nun stand ich vor der Zeichnung einer älteren, strengen, völlig freudlosen Frau. Eine Mitgefangene hatte sie wohl aus dem Gedächtnis nachgebildet.
»Denk dir, diese Frau habe ich gut gekannt«, sagteich zu dem Mann, der an seiner Pfeife nagend hinter mir stand. »War ein bildhübsches Mädchen und hat in Prag viele
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