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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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»Nacht und Nebel« die Rede sein, von dem Zeichen NN auf dem Ärmel bestimmter Gefangener, das »Rückkehr unerwünscht« bedeutete. Die Nerven gingen ihr durch, schluchzend brach sie auf der Anklagebank zusammen. Blitzlichter flammten auf, Filmkameras surrten. Was sie gewünscht hatte, war nun ungewünscht eingetreten. Eine Sensation für die anwesende Weltpresse. Der schwarze Engel des Todes weinte.
    Wochen vergingen. Die Zeitungsleser überschlugen allmählich die Berichte vom Ravensbrück-Prozeß. Die Sache zog sich zu sehr in die Länge. Wer will schon tagaus, tagein von Mord und Totschlag lesen. Hatte nicht jedermann genügend eigene Sorgen? Gott weiß, wie alles überhaupt gewesen ist. Waren Sie etwa in so einemLager? Na, entschuldigen Sie! Verzeihung, ich meinte ja bloß . . .
    Am 3. Februar 1947 verkündete das Gericht sein Urteil. An diesem Tag war der große Saal des Curio-Hauses wieder voll besetzt. Bei den angeklagten einstigen Aufsehern und SS-Leuten wußte man, womit zu rechnen war. Aber da war doch noch diese tolle Frau aus der Schweiz, die zweite Mata Hari, wie sie die Journalisten nannten, selbst einstiger Häftling, wenn man es genau und formal betrachtete.
    Von zwei britischen Soldaten eskortiert, erschien Carmen Maria Mory zum letztenmal vor dem Gericht. Auch diesmal im Pelzmantel, auch diesmal mit erhobenem, allerdings etwas steif erhobenem Kopf, elegant und selbstbewußt.
    Die Richter setzten feierlich ihre Kappen auf, das Gericht erhob sich. Auch die Menschen im Saal standen von ihren Plätzen auf, die Vertreter der Presse, die vor Erregung zitternden Frauen mit den bleichen Gesichtern, die Zeuginnen aus Ravensbrück. Monate-, jahrelang hatten sie auf diesen Tag gewartet. Jetzt war er gekommen, ihre Peiniger standen vor Gericht. Es schnürte ihnen die Kehle zusammen, brannte in ihren Augen. Aber die Erleichterung blieb aus. Genugtuung ist ein gerechtes, aber kein freudiges Gefühl und erhellt mit keinem Lichtstrahl die Nacht unendlicher Trauer.
    ». . . zum Tode durch den Strang verurteilt.«
    Hatte sie richtig gehört? Den Bruchteil einer Sekunde starrte Carmen Maria Mory vor sich hin, »dann schloß sie ganz langsam die Augen und senkte den Kopf. Bevor sie sich wie zögernd zum Gehen wandte, bekreuzigte sie sich.« Soweit der Bericht der Hamburger Zeitung Die Welt vom 3. Februar 1947.
    Als sie in Paris mit ihrem ersten Todesurteil in ihre Zelle zurückgeführt wurde, hatte sie getobt, und die ganze Division war mit ihr erbebt. Auch ich mußte mich damals in meiner Zelle an die Wand lehnen. Meine Glieder wurden schwer, der Mund trocknete mir aus, ich konnte nur mühsam atmen. Eine Frau, die mit mir unter einem Dach lebte, war zum Tode verurteilt worden. Eine junge, gesunde, lebenswillige Frau.
    Damals hatte ich noch geglaubt, nach dem Krieg meine kleine Schwester wiederzusehen. Auschwitz war ein polnisches Städtchen, in dem unser Freund Jossek geboren war, und daß neben Kiefern und Föhren eines Tages auch ein Krematorium, ein Krematorium für junge, gesunde, lebenswillige Frauen am Ufer des Schwanensees bei Fürstenberg in Deutschland stehen würde, konnte keinen normal denkenden Menschen einfallen. Kann sich jemand zweiundneunzigtausend tote, getötete Frauen vorstellen?
    Die Mory hat sich nach der Urteilsverkündung im Gerichtssaal bekreuzigt, und die Weltpresse hat davon Notiz genommen. Was aber ist weiter geschehen? Wann wurde das Todesurteil vollstreckt? Ist es überhaupt vollstreckt worden?
    Ich blickte aus dem Wagenfenster. Die Umrisse der Bäume zu beiden Seiten der Landstraße verschwammen, die Felder hinter ihnen schienen sich sacht in nichts aufzulösen. Wie graue Spinnweben legten sich die Schleier der Abenddämmerung über die kalte Erde. Kein Rabe krächzte mehr am Wegrand, keine Maus huschte über den glatten, im Lichtkegel der Scheinwerfer glänzenden Asphalt. So wird im Theater ein dünner Vorhang nach dem anderen herabgelassen, wenn dasGeschehen im Hintergrund der Bühne im Ungewissen zerrinnen soll.
    Nach einer Pressemeldung, die von niemandem bestätigt noch dementiert wurde, soll sich die Mory am Tag vor der Hinrichtung im Gefängnis vergiftet haben. Nach einer anderen, gleichfalls weder bestätigten noch widerlegten Meldung hat sie im Gefängnis verlangt, man möge ihr ihre Hauspantoffeln bringen. In dem einen, so hieß es weiter, hatte sie eine Rasierklinge eingenäht, mit der sie sich am Tag vor der Hinrichtung die Pulsadern aufgeschnitten haben soll.
    Wieso hat

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