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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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die große Presse nichts über diesen sensationellen Abgang der »zweiten Mata Hari« berichtet? Wer hat nach der Urteilsverkündung das weitere Geschehen hinter dem spinnwebdünnen Schleier der Ungewißheit zerrinnen lassen? Und warum? Waren Carmen Maria Morys Tage im Februar 1947 wirklich beschlossen? Lebt sie nicht mehr?
    »Du glaubst, sie ist gar nicht tot?« Der Mann am Steuer trat auf die Bremse und hielt den Wagen an. »Das wäre ja toll. Gibt es dafür einen Anhaltspunkt?«
    Warum sprachen wir nicht über Bücher oder Musik? Warum drehten die beiden Männer vor mir nicht das kleine Radio am Schaltbrett an und verfolgten ein Hockeywettspiel oder einen Wettbewerb im Skispringen? Warum konnte ich ihnen nicht eine der vielen drolligen Geschichten von meiner kleinen Schwester erzählen, damit der Druck in mir etwas nachgab? Warum mußten wir alle drei gerade über diese quälende Sache, über diese unfaßbare, grauenhafte Frau reden?
    »Fahr bitte weiter«, sagte ich leise, »wenn der Motor brummt, kann ich besser davon sprechen. Da ist noch so eine merkwürdige Geschichte . . .«
    »Möchtest du eine Zigarette?« Der Mann mit der Pfeife langte dem am Steuer in die hingehaltene Rocktasche, fischte eine Zigarette heraus und schob sie mir zwischen die Lippen. Dann hielt er mir seine Pfeife hin, damit ich sie an der knisternden Glut anbrennen konnte. Er wußte, daß mir das Spaß machte. Der Mann am Steuer setzte den Wagen inzwischen von neuem in Bewegung. Draußen war es jetzt schon tintenblau.
    In Paris war Frühling. Nicht der erste Nachkriegsfrühling, aber die Frau, die in der lauen Morgenluft langsam dem Jardin du Luxembourg zustrebte, hatte immer noch das Gefühl, ein Traum sei zum Alltag geworden. Das machten die aufgeplatzten, feucht glänzenden Knospen an den Kastanienbäumen, aus denen ungeduldig gelbgrüne Blattspitzen hervorlugten. Das machte das unbekümmerte Lärmen in den Straßen, der Duft von frisch gebackenem Weißbrot aus der Bäckerei, die geflochtenen Korbstühle auf den Terrassen der Cafés. Die weit aufgerissenen, fast kindlich erstaunten Augen der Frau standen in merkwürdigem Kontrast zu dem graumelierten Haar über ihrer Stirn, die mädchenhaft schlanke Gestalt paßte nicht zu ihren etwas müden Bewegungen. Aber Frühlingsluft läßt bekanntlich die Glieder ermatten, benimmt den Kopf. Ein paar junge Menschen kreuzten ihren Weg. Fest untergehakt nahmen sie beinahe die ganze Breite des Gehsteigs ein. Lächelnd trat sie zur Seite, wandte sich nach ihnen um.
    Und blieb wie versteinert stehen.
    Nein, nein, das war Wahnsinn, das konnte nicht sein. Aber die Dame im marineblauen Kostüm mit einem weißen Hütchen auf dem dunklen Haar, die eben im Begriff war, ein ungeduldig herbeigerufenes Taxi zu besteigen . . .
    Unsinn! Das hier war ein Pariser Boulevard, sie war nun schon das dritte Jahr zu Hause. Aber diese Gestalt, die sie auch jetzt noch manchmal nachts zu sehen vermeinte, das dichte schwarze Haar, das unter dem Hut hervorquoll, und dann die Handbewegung, diese herrische, keine Widerrede duldende Handbewegung, mit der sie den Wagen angehalten hatte.
    »C’est elle!« schrie die Frau auf einmal mit gellender Stimme und versuchte, dem davonfahrenden Taxi nachzulaufen. »Das ist sie! L’ange noir de la mort! Der schwarze Engel des Todes!«
    Die Leute blieben erschrocken stehen. War da jemand plötzlich wahnsinnig geworden? Wohin rannte die zierliche Frau mit dem blassen Gesicht? Was war überhaupt los?
    »Allez, allez!«
    Ein Schutzmann in dunkelblauer Pelerine, den weißen Gummiknüppel am Gürtel, vertrat ihr den Weg.
    »Wohin so eilig? Ist Ihnen etwas passiert, Madame?«
    »L’ange noir«, stieß die Frau mühsam hervor, wurde totenblaß und schwankte wie ein Grashalm im Wind. Der Polizist faßte sie am Arm, von irgendwo brachte man einen Stuhl, ließ die Zitternde sich darauf niedersetzen. Jemand bot ihr ein Glas Wasser an.
    »Excusez-Moi«, sagte sie leise, als sie sich wieder in der Gewalt hatte, »entschuldigen Sie bitte. Aber so etwas ist einfach unfaßbar. Ich habe eben die Blockälteste von Nr. 10 in ein Taxi einsteigen sehen. Vom Konzentrationslager Ravensbrück. Zweieinhalb Jahre war ich dort gefangen. Sie ist in Hamburg als Kriegsverbrecherin zum Tode verurteilt worden, und jetzt begegne ich ihr auf einmal in Paris. Das ist doch nicht möglich, das kann doch nicht sein. Ich verstehe einfach nicht . . .«
    Sie sprach immer noch leise, aber durchaus zusammenhängend. Ihre Hände

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