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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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Schwarzhändler. Wieviel Gramm Brot für eine amerikanische Zigarette? Eine Liebesnacht für ein Paar Nylonstrümpfe. Hungrige Menschen. Britische Soldaten. Nicht auffallen. Auf nichts hereinfallen. Flüchtlinge aus dem Osten. Untergetauchte Offiziere. Von der Schutzstaffel, vom Sicherheitsdienst. Ein verkleideter KZ-Kommandant.
    Im Curio-Haus tagte ein alliiertes Gericht. Eine Sensation: der Ravensbrück-Kriegsverbrecherprozeß, das größte Frauenkonzentrationslager der Nazis.
    Hat der »alte Michel« im Turm der St. Michaeliskirche von Hamburg anklagend seine Stimme erhoben, als Seiner britischen Majestät Generalmajor Westropp zum ersten Mal die Verhandlung eröffnete? Oder hat es die Kirche, den Turm und die Glocke darin noch nicht wieder gegeben?
    Im Gerichtssaal wurde es still, unheimlich still, als die dreizehn Angeklagten, von weiß behelmten Soldaten flankiert, hereingeführt wurden. Blitzlichter flammten auf, Filmkameras surrten, Aktenbündel raschelten.
    Die Menschen hielten den Atem an.
    In zwei Reihen standen die Angeklagten vor ihren Richtern. In der ersten Reihe, als zweite von links, zog eine dunkelhaarige, dunkeläugige Frau im Pelzmantel die Aufmerksamkeit der Presseleute auf sich. »Ihre saloppe, selbstgefällig-kokettierende Art steht in Widerspruch zu dem zurückhaltenden Benehmen ihrer Mitangeklagten«, schrieb die Hamburger Zeitung Die Welt am 6. Dezember 1946.
    Carmen Maria Mory stand wieder einmal vor Gericht.
    Scheinbar ruhig blickte sie sich in dem Saal um. Wo waren die Plätze für die Presse? Mit lässiger Bewegungrückte sie eine Haarsträhne aus der Stirn, machte den Hals im Pelzkragen frei. Jetzt war Auffallen wichtig. Die Presse mußte von ihr Notiz nehmen, jeden Tag ein paar Zeilen, einige fettgedruckte Titel. Schließlich war sie selbst einmal Journalistin gewesen und wußte, womit man das Interesse der Öffentlichkeit hervorrufen kann. Die elegante Schweizerin unschuldig? Die Verlobte eines britischen Offiziers weist Verleumdungen zurück! Das waren die Schlagzeilen, die sie nun brauchte. Es war ihr auch bekannt, daß Beobachter von nahezu einem Dutzend verschiedener Nationen im Saal anwesend waren. Die amerikanische Presse sollte gefälligst von ihr Kenntnis nehmen. Vielleicht befand sich jemand unter den Franzosen, den sie einst kannte, vielleicht war ein Schweizer Landsmann zugegen. Suchend irrte ihr Blick durch die dicht besetzten Reihen.
    Und blieb stecken, konnte nicht weiter.
    Dort drüben, die mageren Frauengestalten. Die vor Erregung bleichen oder fieberhaft geröteten Gesichter. Fest zusammengepreßte Lippen. Zuckende Mundwinkel. Ineinander verkrampfte Hände, nervös flatternde Hände. Aber es waren die Augen, die weit geöffneten, auf sie gerichteten Augen dieser Frauen, die die Mory schließlich zwangen, ihren Blick wegzuwenden.
    Lächerlich! Genaugenommen war sie ja nie Aufseherin gewesen. Und überhaupt! Das alles kannte sie doch, dieses ganze Theater war für sie nichts Neues. »Schweine!« fuhr sie in ihrer üblichen Art die englischen Aufseherinnen im Gefängnis an. Fand die Verpflegung unerhört, obwohl sie genau wußte, daß ein Quentchen Butter zu jener Zeit in ganz Deutschland buchstäblich mit Gold aufgewogen wurde. Zu Weihnachten trotzte sie, trat in den Hungerstreik.
    »Lassen Sie meinen Verlobten kommen«, tobte sie. »Er ist Offizier in Shrewsbury. Er wird’s euch allen zeigen!«
    Es mußte einfach wieder klappen. Mit den Franzosen war sie fertig geworden. Heydrich hatte sie »in drei Wochen soweit . . .« Die nach Pfeifentabak und Lavendelwasser duftenden, kühl-korrekten Briten und ihre langweiligen Frauen konnten schwerlich komplizierter sein.
    Merkwürdig, gerade Frauen waren es, die sie jetzt immer wieder aus der Fassung brachten. Einer warf sie das Essen, das sie ihr in die Zelle brachte, rasend an den Kopf. »Ihr werdet auch bald an die Reihe kommen!« schrie sie wie von Sinnen eine andere an.
    Auch bald an die Reihe kommen. Auch bald an die Reihe kommen. Sie machten sie einfach verrückt, diese adretten, unpersönlichen Engländerinnen. Die wären die richtigen gewesen für Oberschwester Elisabeth Marschall aus Ravensbrück oder Irma Greese, ihre Lehrerin vom Schwanensee. Wenn sie bloß ein einziges Mal wieder diese Möglichkeiten hätte! Aufstehen, los, los! Rein in den Waschraum! Und dann eine Kanne Eiswasser über die blonden Locken. Und noch eine und noch eine. »Jetzt seid ihr sauber!« Dann würden sie vor ihr zittern, diese Wachsfiguren

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