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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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zitterten, und ihre weit aufgerissenen grauen Augen waren voll Entsetzen. Um den Stuhl, auf dem sie saß, hatte sich ein dichter Kreis von Menschen gebildet. Die Frauen betrachteten sie mitleidig, manche mußte schnell ihr Taschentuch hervorholen. Ein junger Mann in einem weinroten, hochgeschlossenen Pullover sagte zu dem Polizisten, der unschlüssig dastand: »Eh bien, wir müssen sie finden, diese Person. So jemand darf doch nicht frei herumlaufen.«
    »War das die Dame in dem blauen Kostüm mit einem weißen Hut auf dem Kopf?« fragte eine Frau in einer buntgeblümten Schürze, die in einem Kiosk am Rande des Gehsteiges Limonade verkaufte.
    Die Frau auf dem Stuhl nickte.
    »Die war in dem Laden mit den Hüten. Ich habe sie herauskommen sehen.«
    Die Frau erhob sich. Der junge Mann im weinroten Pullover bot ihr den Arm an. Sie schüttelte den Kopf, danke, nicht nötig, es geht schon wieder. In Begleitung des Polizisten, der Frau mit der geblümten Schürze, die ihren Kiosk einfach zusperrte, und des jungen Mannes ging sie zum Hutgeschäft, ein paar Häuser entfernt.
    Die Modistin mit kunstvoll hochgesteckter Frisur hob beschwörend beide Hände, als die kleine Gruppe, geführt von dem Schutzmann, ihren Laden betrat. »Je vous en prie, Messieurs, Dames, ich bitte Sie, meine Damen und Herren! Ich habe einen neuen Teppich, er liegt heute zum erstenmal auf.«
    »Ihr Teppich interessiert uns nicht, sollen wir etwa auf den Händen laufen?« sagte der junge Mann im weinroten Pullover. »Aber da war vorhin eine Frau inIhrem Laden. Blaues Kostüm und weißer Hut. Wer war das?«
    »Pardon«, erwiderte die Modistin abweisend und blickte gleichsam hilfesuchend zum Polizistin. »Ich weiß wirklich nicht . . .«
    Der Polizist zog sein Notizbuch hervor. »Das geht in Ordnung«, sagte er, »ça va. Ich fordere Sie hiermit auf, zu sagen, wer die Dame war. Es besteht nämlich der Verdacht, daß . . . Also bitte, Name und womöglich auch die Adresse.«
    »Eine alte Kundin«, die Modistin setzte eine große Hornbrille auf, blätterte nervös in einem goldgeränderten, schon leidlich abgegriffenen Adressenbuch und sagte schließlich: »Madame X., die geschiedene Gattin des Advokaten X. Vielleicht kennen Sie den Namen.« Und dann folgte die genaue Adresse.
    »Merci«, der Schutzmann vermerkte alles in seinem Notizbuch, »danke bestens, Madame.«
    Die Frau aus Ravensbrück stand still dabei. Auch als sie alle wieder auf der Straße waren, sagte sie nur mit einem Seufzer: »Jetzt müssen wir dorthin gehen.«
    Der junge Mann im weinroten Pullover und die Frau mit der geblümten Schürze verabschiedeten sich. Der Polizist trat an den Rand des Gehsteigs und hielt kurz darauf einen vorbeikommenden Streifenwagen an. Er half der Frau beim Einsteigen, setzte sich neben den Fahrer und nannte die von der Modistin angegebene Adresse.
    Als sie vor dem Haus standen, preßte die Frau plötzlich beide Hände an die Schläfen, aber nur für einen Augenblick. Dann hob sie den Kopf und stieg fast leichtfüßig in die dritte Etage. Dort verglich der Polizist das Namensschild mit seiner Eintragung im Notizbuch und drückte auf den Klingelknopf neben der Wohnungstür.
    Schritte im Vorzimmer, ein Riegel wurde beiseite geschoben, der Schlüssel drehte sich im Schloß herum. Im Türrahmen stand die Dame im marineblauen Kostüm, groß, dunkeläugig und dunkelhaarig. Den weißen Hut hatte sie inzwischen abgelegt.
    »C’est elle! Oh mon Dieu!«
    »Wie bitte?« Die Stimme war rauh und zurückweisend.
    Der Polizist verlangte höflich, ihre Ausweispapiere zu sehen.
    »Ich verstehe nicht . . .«
    Aber dann holte sie sie wortlos aus einer vornehmen Handtasche hervor. Sie stimmten mit den Angaben der Modistin überein. Da bat der Schutzmann noch, gleichfalls sehr höflich, um Auskunft, wo Madame den Krieg verbracht habe.
    »Bei den Eltern meines Mannes in der Normandie«, kam schnell die Antwort. »Noch etwas?«
    Der Polizist wischte sich mit dem Taschentuch umständlich den Schweiß aus der Mütze, auch seine Stirn glänzte feucht. Dann blickte er kurz auf die Frau neben sich. Sie hatte die Lippen fest aufeinandergepreßt und starrte wie gebannt auf die stattliche Person im blauen Kostüm, auf ihr Gesicht mit den dunklen Augen, auf den von dunklem Haar bedeckten Kopf.
    »C’est elle«, schrie sie plötzlich von neuem gellend auf. »Sie ist es. Ich habe sie doch zweieinhalb Jahre lang täglich gesehen. Die Blockälteste von Nr. 10.«
    Die Dame brauste auf. Das sei ja

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