Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
ausnützte, um die Unterhaltung in zivilere Bahnen zu lenken und auf einen erfreulicheren Gesprächsstoff überzugehen. »Ich hätte nie gedacht, daß Sie nicht ganz obenauf sind.«
»Ach was«, antwortete der Mann, der sich durch diese Worte anscheinend geschmeichelt fühlte, »man muß halt ein bißchen auf sich aufpassen, das ist alles. NächstenMonat fahre ich wieder zur Kur in ein Erholungsheim für Kriegsopfer, bin dort jedes Jahr.«
Ist doch in Ordnung, beschwichtigte ich mich im Geist. Wer in den Ardennen einen Lungenschuß abbekommen hat, ist eben ein Kriegsopfer.
Und wer Mauthausen oder sonst ein KZ überlebt hat, ohne daß man es ihm heute ansieht, welches Erholungsheim ist für ihn jedes Jahr zuständig?
»Haben Sie auch einen Garten?« Unbeirrt unternahm die Blondine einen weiteren Versuch, dem Gespräch eine angenehmere Richtung zu geben. »Frische Luft ist die beste Medizin für alles.«
»Einen Garten haben wir. Es gibt ja nichts Schöneres als die zarten Blüten eines Apfelbaums im Frühling. Jetzt werden bald auch schon die Linden blühen, in ein paar Wochen sind wir soweit. Da sagt dann immer meine Frau zu mir: Nimm von dem Duft die Nase ordentlich voll, und du wirst wieder jung. Ha, ha!«
Das Gespräch plätscherte harmlos weiter. Die Blondine wiederholte ihre Frage, was sie als erstes in ihrem neuen Garten anbauen sollte. Bereitwillig und mit soliden Kenntnissen erteilten ihr die beiden Männer Ratschläge. Dann sprang die Unterhaltung auf Erfahrungen mit Autos verschiedener Marken über, und mich beschlich das sonderbare Gefühl, das ungeheuerliche Geschwätz vorher habe vielleicht überhaupt nicht stattgefunden, war nur ein Alptraum.
Ich kroch ein wenig aus meiner Fensterecke hervor und blickte meinem Gegenüber abermals voll ins Gesicht. Den Bruchteil einer Sekunde flatterte sein Blick ein wenig, festigte sich jedoch gleich wieder, wurde eiskalt und hart. Da wußte ich, daß alles Wirklichkeit war, daß ich richtig gehört habe, von der Tätowierungin der Achselhöhle bis zum Umweg um Mauthausen herum.
»Ich habe kolossale Lust auf einen Kaffee«, verkündete die Blondine in diesem Augenblick. »Kommt jemand mit in den Speisewagen?«
»Wenn es nicht unbedingt Kaffee sein muß, bin ich gleich mit von der Partie«, erklärte der Mann mir gegenüber. Auch das Ehepaar an der Tür wollte gern mitkommen.
Alle erhoben sich. In der Tür des Abteils blieb der SS-Mann stehen, wandte sich um und sagte überaus höflich: »Dürfen wir Sie bitten, gnädige Frau, inzwischen ein wenig auf unsere Sachen aufzupassen?«
Ich nickte wortlos.
Als die Tür hinter ihnen zufiel, atmete ich auf. Jetzt konnte ich wieder für eine Weile die zwanglose Freiheit des Niemandslandes zwischen dem Ausgangspunkt und dem Endziel der Fahrt auskosten, wie ich das bei längeren Reisen so gern habe. Unterwegs tritt, gewollt oder ungewollt, ein Zustand süßen Nichtstuns ein. Eine Ruhepause. Man ist weder da noch dort, kann bestenfalls ein Buch lesen oder seinen Gedanken freien Lauf lassen.
Meine Gedanken wanderten diesmal, gewollt oder ungewollt, von neuem nach Las Condes, in das vornehme Stadtviertel von Santiago de Chile, die Stadt, in der Pablo Neruda gelebt und gedichtet hat und wo dann Walter Rauff, der einstige SS-Obersturmbannführer, ein Haus besaß. Ich versuchte es mir vorzustellen, wußte ich doch, wie solche Häuser in Lateinamerika aussehen. Da gibt es zunächst einen schattigen Patio mit blühenden Oleanderbäumen in breiten Holzbottichen. Von dort gelangt man in die behagliche Wohnstube und das kühleEßzimmer mit einem schweren, großen Tisch in der Mitte. Bei den Rauffs mag es ringsum geschnitzte Stühle geben, wie sie bei ihnen früher auch in Deutschland standen: für den Herrn und die Frau des Hauses, die Kinder, vielleicht auch die Großeltern und . . .
In den Ländern des von Indios bewohnten Kontinentes ist es üblich, bei Familienfesten auch einen Stuhl für einen lieben Toten mit an den Tisch zu stellen.
Ich schloß die Augen und sah, wie in das schöne Speisezimmer bei Walter Rauff ganz ungebeten gleich mehrere Stühle an den Eßtisch heranrückten, die leeren Stühle seiner Opfer. Manche hinterließen häßliche schwärzliche Spuren auf den bunten Steinfliesen. Die kamen von den Verbrennungsöfen. Ich vermeinte, das erschrockene Gesicht von Frau Rauff vor mir zu sehen, als, einander schubsend, eine Menge Kinderstühlchen hereindrängten, stets zwei auf einmal. Auf ihnen mußten wohl die
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