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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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einfache Wörter, die gering an Zahl dennoch genug waren, um immer neue Lieder für die lutherischen Kirchgemeinden vielstrophig zu reimen, so daß man überall beim Hausgebrauch und wo der Krieg Kirchen gelassen hatte (bis in katholische Gegend hinein) dem frommen Gerhardt nachsang: auf alte Weise und nach schlichten Melodien, die ihm Crüger und später Ebeling setzten; etwa das Morgenlied »Wach auf, mein hertz, und singe…«, dessen erste Strophe »…dem Schöpfer aller Dinge, dem Geber aller Güter, dem frommen Menschenhüter…« unterwegs nach Telgte zu Papier gekommen war und bald darauf neunstrophig von Johann Crüger vertont werden sollte.
    Selbst wenn Gerhardt gekonnt hätte, wollte er anderes, Oden, kunstvolle Klinggedichte, Satirisches oder verbuhlte Schäfereien gar, nicht und für niemand schreiben. Er war kein Literat und hatte mehr vom Volkslied übernommen als von Opitz (und dessen Sachwalter Buchner) gelernt. Seine Lieder nahmen Natur auf und redeten nicht in Figuren. Deshalb hatte er sich anfangs geweigert, beim Poetentreffen dazwischen zu sein. Einzig Dach zum Gefallen, dessen praktische Frömmigkeit gerade noch in seinen Religionsbegriff paßte, war er gekommen, um dann doch, wie vorgeahnt, Anstoß zu nehmen an jedermann: an des Hoffmannswaldau unablässigem Wortwitz, am eitlen, noch immer nicht leergemolkenen Weltekel des Gryphius, am wirren Schöngeschwätz des angeblich so begabten Zesen, an Laurembergs ewigem Aufguß der nämlichen Satire, an Czepkos pansophischen Zweideutigkeiten, Logaus Lästerzunge, Rists Getöse und am geschäftigen Hin und her der Verleger. All das, der Literaten schnellfertige Rederei und ihr allzeit vorgestelltes Vielwissen, war ihm dergestalt zuwider, daß er, der nur für sich (seinen Eigensinn) stand und keiner Dichtergesellschaft zugezählt wurde, kaum angekommen wieder nach Hause wollte; aber der fromme Mann blieb.
    Und als Paul Gerhardt, nach der Fürbitte für die verruchte Wirtin und der Verdammung der Feinde des wahren Glaubens, in seinem Morgengebet fortfuhr, flehte er lange um Erleuchtung seines calvinistischen Landesfürsten, der zu Hunderten Hugenotten und sonstige Irrläufer als Neusiedler in die Mark rief, weshalb ihn Gerhardt nicht lieben konnte. Dann schloß er die Dichter in sein Gebet ein.
    Er bat den allmächtigen Gott und Vater, die hochgelehrten und dennoch abgrundtief irrenden Herren, den weltklugen Weckherlin und den aus dunkler Herkunft zwielichtenden Moscherosch, den schlimmen Greflinger und sogar den närrischen Stoffel, obzwar der katholisch, mit rechten Worten zu begaben. Die Finger verschränkt, rang er seiner Inbrunst die Bitte ab: Es möge die Versammlung in allem seine, des höchsten Richters Herrlichkeit preisen.
    Seinem Morgengebet nachgestellt, erbat er für sich die langerhoffte Zuweisung einer Pfarrei, wenn möglich im Märkischen; doch erst vier Jahre später wurde Paul Gerhardt Propst von Mittenwalde, wo er endlich die schon angejahrte Liebe seiner Hauslehrerzeit, seine Schülerin Anna Berthold, heiraten durfte und weiterhin Strophenlied nach Strophenlied schrieb.
    Da schlug Simon Dach in der Kleinen Wirtsstube die Glocke an. Wer noch nicht wach war, fiel aus dem Schlaf. Die Jungen fanden sich auf dem Dachboden ohne Mägde im Stroh. Marthe, Elsabe und Marie waren schon in der Küche rührig. Sie schnitten Altbrot in die Morgensuppe, von der auch Heinrich Schütz aß, als er fremd und doch allen bekannt zwischen Gerhardt und Albert am langen Tisch saß.
    10
    Mit so viel Glanz begann dieser Sommertag. Durch alle Fenster drängte Licht und gab dem von Mauernässe kühl gehaltenen Haus einen Anflug Wärme. Hinzu kam die Freude der Herren über den hohen Besuch.
    Gleich nach der Morgensuppe, noch in der Kleinen Wirtsstube (und nachdem diesmal Czepko das Dankgebet gesprochen hatte), sagte Simon Dach stehend zu allen: Es solle, bevor man sich wieder über die Manuskripte mache, der weitberühmte Gast herzlich begrüßt werden, doch müsse das eingehender geschehen, als er, ein bloßer Liebhaber der Musik, es leisten könne. Sein Albert – wie er den Domorganisten nannte – kenne sich besser aus in Motetten und Madrigalen. Ihm sei, bei fehlendem Wissen, nur staunende Ehrfurcht geboten. Er tauge allenfalls für Generalbaßliedchen. – Dann setzte er sich: erleichtert.
    Nach umständlicher Anrede breitete Heinrich Albert zuerst den Lebenslauf des Gastes aus: Wie der junge Schütz, obgleich von den Eltern für das Studium der Rechte

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