Das Treffen in Telgte
rückten vom Tisch ab, nur Gerhardt zögerte, weil er Schützens abschätzige Worte über das gereimte Strophenlied einzig auf sich bezog. Weckherlin mußte ihn überreden und schließlich mit sich ziehen.
Andere Mühe hatte Dach mit Gryphius, der nicht, gewiß nicht sogleich aus seinem Trauerspiel lesen wollte, das er kürzlich, auf dem Rückweg von Frankreich, in Straßburg zum Schluß gebracht hatte. Er wolle schon, wenn es denn sein müsse, aber nicht auf der Stelle, nur weil der Schütz – bei aller Hochachtung vor dessen Größe – es so sich wünsche. Außerdem sei er kein Opern-Skribent. Für höfischen Pomp fehle ihm die Passion. Dach solle vorerst andere aufrufen, etwa die Jungen. Denen sei offenbar die Nacht nicht bekommen. Ihr Gähnen sei dreigestimmt. Knickbeinig stünden sie herum. Sogar dem Greflinger stehe das Maulwerk still. Womöglich könne der eigene Vers, so schläfrig er andere mache, die Urheber wachläuten. Dach sah das alles ein. Als aber Rist und Moscherosch ihn bewegen wollten, anfangs ein Manifest verlesen zu lassen, welches die beiden, beraten von Hoffmannswaldau und Harsdörffer, bis spät in die Nacht aufgesetzt, in der Frühe überarbeitet hatten und als Friedensappell der deutschen Dichter an ihre Fürsten richten wollten, war der Kneiphöfische Magister um den Halt seiner literarischen Familie besorgt. »Später, Kinder!« rief er. »Später! Vorerst wollen wir mit vnserem Dintenfleiß den Herrn Schütz verköstigen. Die Politik ist des Friedens gichtbeiniges Gesponst. Die läufft vns nicht davon.«
In der Diele saß man schon wie gewohnt. Von draußen hörten wir entfernter als am Vortag die in der Wildnis des Emshagen angepflockten Maulesel. Jemand (Logau?) fragte, wo denn der Stoffel sei? Gerhardt schwieg dazu. Erst als Harsdörffer die Frage aufnahm, gab uns die Wirtin Auskunft: Der Regimentssekretär habe in eiligen Geschäften nach Münster gemußt. In aller Frühe.
Wieder obenauf war die Libuschka leichtfüßig überall. Diesmal mit gekräuseltem Haar. Sie hatte nicht an Grindsalbe gespart. Ihre Mägde mußten einen bequemen Lehnstuhl mit breiten Armstützen in den Halbkreis tragen. Wie erhöht saß, bei seitlichem Fensterlicht, Heinrich Schütz und bot der Versammlung seine besorgte Stirn.
11
Es war noch immer früher Morgen, als der zweite Lesetag seinen Anfang nahm. Diesmal stand dem noch leeren Schemel des Vortragenden Schmuck daneben: eine hochtreibende Distel, aus dem Garten der Wirtin gestochen und in einen Tonkrug gepflanzt. So, vereinzelt und für sich genommen, war die Distel schön.
Ohne Anspielung auf das »Sinnebild kriegswüster Zeit« ging Dach zur Leseordnung über. Kaum hatte er, wie schon alteingesessen, seinen Stuhl dem Halbrund gegenüber besetzt, rief er, damit sie nacheinander vom Schemel zu seiner Seite (nun neben die Distel gesetzt) vortrügen, zuerst die Jungen auf: Birken Scheffler Greflinger.
Sigmund Birken, ein böhmisches Kriegskind, das, nach Nürnberg geflüchtet, bei den Pegnitzschäfern um Harsdörffer und Klaj idyllischen Halt und Förderung in patrizischen Häusern gefunden hatte, war ein auch theoretisch eifernder Jüngling, wie seine Lesung am Vortag bewiesen hatte. Außerdem gefiel er als »Floridan« im Hirtenorden und als »Der Riechende« in Zesens Deutschgesinnter Genossenschaft mit Andachtsliedern, halb prosaischen, halb poetischen Schäfereien und allegorischen Schauspielen. Weil wenige Jahre später seine Inszenierung der Nürnberger Feier »Teutscher Kriegs Ab- und Friedens Einzug« vor militärischen Gästen besonderen Beifall fand, wurde er bald darauf vom Kaiser geadelt und als »Der Erwachsene« in den schlesischen Palmenorden aufgenommen. Überall, zu Hause und auf Reisen, führte er haushälterisch Tagebuch, weshalb zu seinem Gepäck im Dachbodenstroh des Brückenhofes ein mit Blumenranken verziertes Diarium gehörte.
Der Lautmaler Birken, dem alles zu Klang und Form wurde und der mit neuestem Empfinden nichts direkt sagte, sondern alles in Bildern umschrieb, las einige in Kreuz- und Herzform getürmte, hier ausladende, sich dort verjüngende, mit Fleiß gekünstelte Figurengedichte, die sich schön ansahen, doch bei der Versammlung keinen Beifall fanden, weil sich die Form beim Vorlesen nicht übertrug. Mehr Zustimmung kam einem Gedicht zu, das den Frieden und die Gerechtigkeit wortspielerisch Küsse tauschen ließ: »… die süssesten Küsse sind süsser als süsse…«
Was Harsdörffer und Zesen (der eine
Weitere Kostenlose Bücher