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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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bestimmt, anfangs vom Landgrafen zu Kassel, dann vom kursächsischen Fürsten gefördert das Tonsetzen gelernt habe, und zwar in Venedig beim weitberühmten Gabrieli, dem er als Organist beider Orgeln am Dom San Marco hätte folgen können, doch sei ihm die Rückkehr ins Vaterland gewichtiger gewesen. Erst viel später, als sich der Krieg schon dem Land mörderisch auszahlte, habe er abermals Urlaub nach Italien genommen, um sich beim weitberühmten Monteverdi weiterzubilden, worauf er, jenem ebenbürtig, mit der neuesten Musik zurückgekommen sei, nun so vermögend, daß er der Menschen Jammer und Freude habe tönen lassen können: ihr banges Stillewerden und ihren Zorn, ihr müdes Wachen und ihren verschreckten Schlaf, ihr Todessehnen und ihre Furcht vor Gott, auch dessen Lob und Güte. Das alles zumeist nach den einzig wahren Worten der Schrift. Und zwar in Werken ungezählt. Sei es in Geistlichen Konzerten oder in Musikalischen Exequien, sei es in seiner Auferstehungshistorie oder – wie vor zwei Jahren noch – in der Passionsmusik von des Herrn sieben Worten am Kreuz. Das seien alles strenge und zarte, schlichte und kunstreiche Gebilde in einem. Weshalb sich das meiste für den gemeinen Kantor und den nur dürftig geschulten Choristen als zu schwierig erwiesen habe. Er selber sei oft an der vertrackten Mehrstimmigkeit verzweifelt, so kürzlich noch, als er zum Reformationsfest mit seinem Kneiphöfischen Chor den achtundneunzigsten Psalm »Singet dem Herrn« versucht und an dessen Doppelchörigkeit das Scheitern gelernt habe. Doch wolle er dem Meister, bei so freudiger Gelegenheit, nicht mit dem ewigen Lamento des kirchdienstlichen Praktikers kommen, zumal der kursächsische Kapellmeister leiderfahren wisse, wie schwer es in dieser seit langem kriegswirren Zeit falle, taugliche Sänger und Violenspieler zu halten. Selbst dem stolzen Dresden fehle es am Instrument. Weil nicht ausgezahlt, suchten die welschen Virtuosen den Schutz pünktlicher Fürstengunst. Kaum könne man die wenigen Kurrendeknaben ernähren. Ach, wolle es Gott den Herrn erbarmen, auf daß endlich Frieden werde, damit man wieder so kunstfertig sein dürfe, wie es der Meister in seiner Strenge verlange.
    Dann meldete Albert beiläufig Schützens Wunsch, beim Lesen vom Manuskript zuhören zu dürfen, weil er sich Anregung erhoffe, sei es, um endlich, wie es der Monteverdi nach seiner Sprache könne, auf deutsche Worte Madrigale zu komponieren, sei es, indem er womöglich Dramatisches zu hören bekomme, das ihm als Vorlage zur Oper taugen wolle, wie vor zwanzig Jahren des seligen Opitz »Dafne« seiner Musik günstig gewesen sei; wofür er heute noch, für vermittelnde Hilfe, dem hier anwesenden Magister Buchner Dank schulde.
    Nun warteten alle ein wenig beklommen auf des Gastes Antwort, denn in Schütz’ Gesicht hatte sich, während man Albert lobreden, des Meisters schwierigen Tonsatz beklagen und zum Schluß dessen Wünsche hersagen hörte, nichts ereignet. Nicht einmal, daß sich seine zersorgte Stirn über den hohen Brauen schmerzlicher gefurcht, geschweige denn gelockert hätte. Auch war sein Auge gleichbleibend wach auf etwas Trauriges außerhalb des Raumes gerichtet geblieben. Sein Mund, unter und über dem Bart, der sorgsam geschnitten der Tracht des einstigen Gustav Adolf glich, senkte sich in den Winkeln. Sein falbes, von der Stirn und den Schläfen nach hinten gestrichenes Haar. Seine kaum vom Atem bewegte Ruhe.
    Als er dann doch sprach, war sein Dank kurz: Er habe nur fortgesetzt, was ihn Johann Gabriel gelehrt habe. Merkwürdig, wenn nicht ein wenig albern berührte jener Anflug von Kindlichkeit, mit dem der in allem zuchtvolle Mann jedem am Tisch einen Ring an seiner linken Hand zeigte: Den habe er von Giovanni Gabrieli, kurz vor dessen Tod, als Zeichen der Freundschaft verliehen bekommen. Die von Albert angesprochene schwierige Vielstimmigkeit tat er mit einem Satz ab: Solche Fertigkeit verlange die Kunst, wenn sie dem reinen Wort Gottes folge. Dann kam ein erstes, zwar leise gesprochenes, doch den Tisch lang vernehmliches Urteil: Wer es einfacher und der Kunst außerhalb haben wolle, der möge sich an das gereimte Strophenlied halten und mit dem Generalbaß einhergehen. Doch nun sei er begierig zu hören, was er nicht könne: kunstfertig Wörter setzen.
    Schütz, der sitzend gesprochen hatte, stand auf und gab damit, ohne daß Dach noch einmal zu Wort kam, ein allgemeines Zeichen für den Umzug in die geräumige Diele. Alle

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