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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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gelehrt, der andere mit verstiegenen Deutungen) als bahnbrechende Neuerung lobten, gab Buchner Anlaß zu weitausholenden Bedenken, erlaubte Moscherosch, die ganze Haltung, doch besonders den Reim »switzen – spitzen« im Herzfigurengedicht zu parodieren, und ließ Rist aus der Predigerhaut fahren: Ein Glück, daß der selige Opitz sich diese »verzeste Birkeney« nicht habe anhören müssen.
    Dem alten Weckherlin hatte das »zierlichte Wortgetümmel« gefallen. Logau gab sich wie immer knapp: Wo der Sinn fehle, dürfe der Kling-Klang seinen Tauschhandel treiben.
    Danach saß Johann Scheffler, der bald als Arzt katholisch werden und als Priester (unter dem Namen Angelus Silesius) die jesuitische Gegenreformation fördern sollte, neben der Distel. Zuerst stockend und zwischen seinen Wörtern verirrt, dann gefaßter, weil ihn Czepkos Ruf »Mut, Student!« gestärkt haben mochte, las er eine frühe Fassung des später bei allen Konfessionen gebräuchlichen Kirchenliedes: »Ich will dich lieben, meine Stärke…« Dann sagte er einige Sinnsprüche auf, die nach zehn Jahren erst in letzter Form unter dem Titel »Cherubinischer Wandersmann« ihren Weg machen durften, vorerst jedoch die Versammlung verwirrten, weil Verse wie dieser: »Ich weiß daß ohne mich Gott nicht ein Nun kan leben…« oder dieser gar: »Als Gott verborgen lag in eines Mägdleins Schoß, Da war es, da der Punct den Kreiß in sich beschloß…« allenfalls bei Czepko und Logau ein Ohr fanden.
    Wie gestochen sprang Gerhardt auf: Wieder mal locke ein schlesisches Irrlicht! Es spreche aus seinen Schülern noch immer der vermaledeite Schuster. Täuschwerk und Schwärmerei! Er warne vor dem falschen Glanz des Gott mißbrauchenden Widersinns.
    Als Pfarrer der Wedelschen Kirchgemeinde sah sich Rist aufgerufen, allem, was Gerhardt gesagt hatte, wie von der Kanzel herab beizustimmen: Aber er wolle nicht deutlicher werden, indem er womöglich papistisches Gift in dem Schnickschnack vermute.
    Es verwunderte, daß der Lutheraner Gryphius ein Wort für Scheffler einlegte: So fremd sie ihm sei, so wohl tue ihm die Anmut dieser sich wundersam schließenden Ordnung.
    Und dann las Georg Greflinger, dem Dachs väterliche Gunst und Sorge gehörte: ein hoch und breit geratener Bursche, den der Krieg als Kind von der Schafsweide weg nach Regensburg verschlagen, später in schwedischen Dienst getrieben und dergestalt unruhig gemacht hatte, daß er zwischen Wien und Paris, Frankfurt, Nürnberg und den Ostseestädten andauernd unterwegs und allorts in wechselnde Lieben verstrickt gewesen war. Noch kürzlich war sein längstes Eheversprechen von einer Danziger Handwerkerstochter namens Elisa mißachtet worden, worauf sie ihm in Gedichten zur treulosen Flora wurde. Erst im folgenden Jahr sollte er in Hamburg ehelich werden, zur Ruhe kommen und ein einträgliches Geschäft besorgen, indem er, neben der Beschreibung des Dreißigjährigen Krieges in 4400 Alexandrinerversen, eine Nachrichtenagentur zu betreiben begann und ab Ende der fünfziger Jahre die Wochenzeitung »Nordischer Mercur« herausgab.
    Ganz dem Irdischen verhaftet, trug Greflinger zwei Buhlliedchen vor, die, weil witzig die Untreue feiernd wie das erste – »Als Flora eyferte…« – oder deftig die lose Buhlerei rühmend wie das zweite – »Hylas wil kein Weib nicht haben…« – zum lauten Vortrag geeignet waren. Noch während der junge Mann, sich und sein soldatisches Gehabe parodierend, seine Scherze deklamierte, kam Vergnügen bei der Versammlung auf. Den Versen: »Ich wil kein’ alleine lieben, Buhlen, buhlen ist mein Sinn…« folgte kleines Gelächter. Nur Schütz’ wegen hielt man sich zurück. Dach und Albert, die beide ihren Spaß hatten, widersprachen dennoch Gerhardt nicht, als jener bei der anschließenden kritischen Aussprache gegen Moscherosch und Weckherlins Lob sprach: Sudelreime wie diese könne man nur in der Gosse singen. Ob man vorhabe, Gottes Zorn auf die versammelten Häupter zu lenken.
    Heinrich Schütz schwieg.
Dann kam Unruhe auf, weil die drei Mägde der Wirtin, die (mit Dachs Erlaubnis) im Hintergrund zugehört hatten, über Greflingers Buhlliedchen ins Kichern geraten waren, nun nicht mehr aufhören konnten, sich schier verklemmten und so ansteckend prusteten, giggelten, in sich hinein wimmerten oder wie außer sich kreischten, daß die Versammlung von Marthe Elsabe Marie mitgerissen wurde. Weil sich Harsdörffer lachend verschluckte, mußte ihm sein Verleger den Rücken

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