Das Treffen in Telgte
Liedern Schmelz gegeben hatte, doch seit Jahren eines anderen Eheweib war, kroch der überall, auch den Rücken lang schwarzhaarige Greflinger zur fülligen Magd Elsabe; die zierliche Marie warf sich dem engelhaften Schmollmund Birken zu, der immer, ob bei der knochigen, der fülligen, nun der allerzierlichsten Magd, bei Nymphen zu liegen glaubte; und die lange grobknochige Marthe zwang Scheffler zwischen ihr Gliederwerk, um ihm, wie es zuvor die fleischige Magd und die zierlichste aller Mägde getan, jene Verheißung zu erfüllen, die ihm am Vortag das hölzerne Telgter Vesperbild bedeutet hatte. Und Mal nach Mal wollte dem schmächtigen Studenten mit dem Erguß die Seele in Fluß geraten.
So kam es, daß alle sechs zum dritten Mal das Stroh auf dem Dachboden zu dreschen begannen, worauf jeder mit jeder und jede mit jedem bekannt war; kein Wunder, daß die Beischläfer nicht hörten, was sonst noch in den frühen Morgen hinein geschah.
Ich weiß es. Da führten fünf Reiter ihre gesattelten Pferde aus dem Stall in den Hof. Gelnhausen war dabei. Keine Tür knarrte, kein Eisen schlug an. Ohne Laut gingen die Pferde im Schritt. Mit Lappen waren die Hufe umwickelt. Und mit sicherer Hand – kein Leder klatschte, im Spund die Deichsel geölt – bespannten zwei Musketiere einen der Planwagen, den die Kaiserlichen in Oesede requiriert hatten. Ein dritter trug für die beiden und sich die Musketen herbei und schob sie unter die Plane. Kein Wort mußte gewechselt werden. Alles lief ab wie geübt. Die Hofköter kuschten.
Nur die Wirtin des Brückenhofes flüsterte mit Gelnhausen, dem sie Anweisungen geben mochte, denn der Stoffel, schon hoch zu Roß, nickte mehrmals und setzte ihrem Gerede Punkte. Als sei es ihr vorgeschrieben, stand die Libuschka (vormals Courage gerufen) in eine Pferdedecke gewickelt, dem einstigen Jäger von Soest daneben, dem immer noch (schon wieder) der grüne, gülden geknöpfte Wams zum Federhut kleidsam war.
Einzig Paul Gerhardt erwachte in seiner Kammer, als das Gespann den Planwagen anzog und die Kaiserlichen vom Hof ritten. Gerade noch sah er, wie sich Gelnhausen im Sattel wendete, seinen Degen zog und mit der freien Hand lachend der Wirtin winkte, die kein Zeichen zurückgab, sondern starr unter der Decke auch dann noch im Hof stand, als Reiter und Wagen schon von den Erlen verdeckt und bald vom Emstor verschluckt waren.
Jetzt begannen die Vögel. Oder erst jetzt hörte Gerhardt, mit wieviel Vögeln der Morgen um Telgte begonnen hatte. Die Lerchen, die Finken, Amseln, Meisen, die Stare. Im Holundergebüsch hinterm Stall, aus der Rotbuche, die mitten im Hof stand, aus den vier Linden, die der Wetterseite des Brückenhofes vorgepflanzt waren, im Wildwuchs der Birken und Erlen, die vom Gestrüpp des äußeren Emsufers eingeholt standen, auch aus den Nestern, die sich die Sperlinge in das verwitterte, zum hinteren Giebel schadhafte Reetdach gebaut hatten, von überall her begann mit den Vögeln der Morgen. (Hähne gab es nicht mehr am Ort.)
Als sich die Wirtin Libuschka aus ihrer Haltung löste und langsam, unter Kopfwiegen, bei weinerlichem Gebrabbel vom Hof schlurfte, war sie, die gestern krakeelig den Ton angegeben und den Herren als immer noch tüchtiges Ziel gegolten hatte, nun eine alte Frau: alleingelassen mit sich, in ihre Pferdedecke gehüllt.
Weshalb Paul Gerhardt, der jetzt erst sein Morgengebet zu sprechen begann, die arme Courage in seine Fürbitte einschloß: Es möge der Herrgott und barmherzige Vater das unselige Weib, um ihrer Sünden wegen, nicht allzu hart mit seinem Zorn strafen und künftigen Frevel ihr nachsehen, weil ja der Krieg dieses Weib so gemacht und mit ihr manchen Frommen vertiert habe. Dann bat er, wie seit Jahren schon jeden Morgen, um baldigen Frieden, der allen Rechtgläubigen Schutz, den Irrenden aber und Leugnern des wahren Gottes entweder endliche Einsicht oder verdiente Strafe bringen solle. Zu den Irrenden zählte der fromme Mann nicht nur, wie hergebracht für einen strenggläubigen Altlutheraner, die Katholischen der pfäffischen Partei, sondern auch Hugenotten, Zwinglianer und Calvinisten, desgleichen alle mystischen Schwärmer; weshalb ihm die schlesische Frömmigkeit unheimlich war.
Nur in seinem Begriff von Gott war Gerhardt fromm – und in seinen Liedern, die weiter trugen, als er in seiner Enge dulden wollte. Seit Jahren schon, solange er sich im städtischen Berlin als Hauslehrer mühte und vergeblich auf eine Pfarrei hoffte, kamen ihm
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