Das Treffen in Telgte
geworfen und Angeln ausgelegt; doch tiefgelagerten, kaum traumbewegten, durch nichts verstörten, gesegneten Schlaf fanden die beiden anderen Jungen. Die wiederholten Erschöpfungen während der Vornacht, als sie mit Greflinger, vom Vollmond bewegt, bei den Mägden gelegen waren, hatten sie bettschwer genug gemacht, um aus der allgemein elenden Stimmung ins Dachbodenstroh zu fallen. Vor Birken atmete Scheffler regelmäßig, während die drei Mägde, nachdem das letzte Spießbratenfeuer runtergebrannt war, keine Ruhe fanden, sondern, wie die Stadtdirnen, den wachfreien Musketieren und Reitern zufielen. Man hörte den Nachtbetrieb vom Stall über den Hof bis durch die Fenster in der Stirnseite des Gasthauses. Vielleicht um dem Gekreisch gleichlaut zu widerstehen, hielten sich Verleger und Autoren in mehreren Kammern mit literarischen Streitgesprächen wach.
Paul Gerhardt kam zu Schlaf, indem er lange vergeblich, dann mit Erfolg wider die weithin tönende Fleischeslust anbetete. Ähnlich erfahren im Umgang mit sündigem Lärm führten Dach und Albert ihre Müdigkeit ins Ziel: in ihrer Kammer, der von Schütz nichts geblieben war, lasen sie einander aus der Bibel vor: aus dem Buch Hiob natürlich…
Aber die Unruhe blieb. Das Suchen nach etwas und nichts. Mag sein, daß es wieder der volle Mond war, der immer noch wirkte, Bewegung ins Haus brachte und uns rastlos bleiben ließ. Kaum weniger feist stand er über dem Emshagen. Ich hätte ihn anbellen, hätte heulen mögen mit den Hunden des Brückenhofes. Doch mit den Herren trug ich den Streit samt Thesen und Gegenthesen durch Gänge und über Treppen. Wieder hatte es – wie schon seit Jahren eingeübt – zwischen Rist und Zesen begonnen: das Gezänk zweier Sprachreiniger. Es ging um Schreibweise, Klangfarbe, Verteutschung, um Neuwörter. Bald hatte man sich theologisch verstrickt. Denn fromm waren sie alle. Jede protestantische Besserwisserei wurde verfochten. Jedermann glaubte sich näher bei Gott. Keiner erlaubte dem Zweifel, sein Glaubensdach abzuklopfen. Nur Logau, in dem (uneingestanden) ein Freigeist steckte, verletzte mit seiner anrüchigen Ironie Lutheraner und Calvinisten: Wenn man der altdeutschen und neuevangelischen Scholastik ein Weilchen zugehört hätte, möchte man flugs papistisch werden, rief er. Gut, daß Paul Gerhardt schon schlief. Und noch besser, daß der alte Weckherlin die Herren an ihr verschobenes Vorhaben, den politischen Friedensaufruf der deutschen Poeten, erinnerte.
In dem endgültigen Skript müsse die wirtschaftliche Lage der Druckereien beklagt werden, riefen die Verleger – und die der Autoren, forderte Schneuber. Man solle endlich zulassen, daß auch für den einfachen Stadtbürger und nicht nur für die höheren Stände Hochzeits-, Tauf- und Leichgedichte geschrieben werden dürften. Moscherosch sagte: Diese Gerechtigkeit für jeden Christenmenschen gehöre zum Frieden. Er wollte sogar eine Honorarordnung, gestaffelt nach Stand und Vermögen, für Auftragspoeme in das Manifest einbringen: Damit nicht nur dem Adel und den patrizischen Herren eine gereimte Abdankung zukomme, sondern dem armen Manne auch.
Also setzten sich Moscherosch, Rist und Harsdörffer in Hoffmannswaldaus und Gryphius’ Kammer an einen Tisch, während die anderen, nicht ohne weitere Ratschläge zu hinterlassen, ihre Betten suchten. Zögernd kam Ruhe in das Haus voller unruhiger Gäste. Neben den vier Verfassern schlief, ungestüm, als ringe er mit dem Engel, der Glogauer; eigentlich hätte man Gryph zu den Autoren des Manifestes zählen müssen: sein im Schlaf noch wortmächtiger Kampf warf dem Manuskript Schatten.
Als sich die Redaktion zwar nicht mit dem neugefaßten Text, doch mit ihrem Aufwand an Mühe zufriedengab und jeder für sich (mit mehrmals verworfenen Phrasen im Kopf) ins Bett fiel, blieb einzig Harsdörffer schlaflos und litt, dem tief atmenden Endter gegenüber, nicht nur unter dem Mond im Kammerfenster. Immer wieder faßte er einen Entschluß und verwarf ihn. Er wollte Schafe zählen und zählte die goldenen Knöpfe an Gelnhausens Wams. Er wollte aus dem Bett und blieb liegen. Er drängte raus, über Gänge, Stiegen, den Hof und hatte die Kraft nicht, sein Federbett abzuwerfen. Es zog und hielt ihn. Er wollte zu Gelnhausen, wußte aber nicht, was genau er von Gelnhausen wollte. Mal war es Wut auf den Kerl, dann wieder ein brüderliches Gefühl für den Stoffel, das ihn aus dem Bett ziehen, über den Hof leiten wollte. Endlich hoffte
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