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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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man Scheffler und Czepko Heil im Gebet suchen. Der sonst immer Pläne schmiedende Mülben voran, alle Verleger sahen ihres Gewerbes Ende nahen. Und Albert erinnerte Verse seines Freundes Dach:
    »Seht, wie, was lebt, zum Ende leufft,
Wisst, daß des Todes Rüssel
Mit vns aus einem Glase säufft
Vnd frisst aus einer Schüssel.«
    Erst nachdem sie genug Zeit lang ihr Elend um den Tisch herum ausgekostet hatten, begannen die Poeten sich und einander anzuklagen. Besonders Harsdörffer wurde beschuldigt, ihrer Gesellschaft einen Wegelagerer zugemutet zu haben. Buchner zürnte: Nur weil der Kerl allzeit flink mit kleinem Witz auszuzahlen verstehe, sei er den Pegnitzschäfern eine Empfehlung wert gewesen. Zesen warf Dach vor, dem hergelaufenen Grobian bei den vertraulichen Lesungen das Wort erteilt zu haben. Dagegen sagte Moscherosch: Immerhin hätte der Saukerl ihnen Quartier gemacht. Und Hoffmannswaldau höhnte: Dieser erste, schon schlimme Betrug sei den meisten Versammelten zum Lachen gewesen. Wieder sprach aus Gryphius kleiner Triumph: Was man eigentlich wolle! In Sünde wälze sich jeder. Auf allen laste Schuld. Wie sie in Trübsal versammelt seien, gleich welchen Standes: erst der Tod werde sie alle glattmachen vor Gott.
    Diesen allgemeinen Schuldspruch, der unter der Hand einem Freispruch ähnelte, wollte Dach nicht zulassen: Hier gehe es nicht um die übliche Verworfenheit. Nicht der einzelne Übeltäter werde gesucht. Hier gelte es, nach der Verantwortung zu fragen. Die müsse er zuerst bei sich suchen. Vor allen anderen treffe ihn Schuld. In Königsberg jedenfalls könne er ihre Schande, die mit Vorrang seine Schande sei, nicht wie eine Anekdote ausplaudern. Doch was man tun solle, wisse auch er nicht. Der leider abgereiste Schütz habe recht: Man müsse die Sache zu Ende bringen. Einfach davonlaufen gehe nicht an.
    Als Harsdörffer alle Verantwortung auf sich nahm und seinen Verzicht auf weitere Anwesenheit anbot, wollte das niemand. Buchner sagte: Er habe seine Vorwürfe aus erstem Ärger loswerden wollen. Wenn Harsdörffer gehe, gehe auch er.
    Könne man nicht, schlug der Kaufmann Schlegel vor, eine Art Ehrengericht, wie in den hansischen Städten üblich, hier sogleich abhalten und den Frevel des Gelnhausen in dessen Gegenwart verhandeln? Weil anderen Standes als die Poeten, nehme er auf sich, Richter zu sein.
    Ja! Ein Gericht! wurde gerufen. Man dürfe nicht zulassen, daß der Kerl bei weiteren Lesungen dabei sei und frech dazwischenrede, rief Zesen. Nach Rists Protest, wenn morgen endlich der Friedensaufruf der Poeten verabschiedet werde, könne man diesen Beschluß nicht in Gegenwart eines Landstörtzers fassen, sagte Buchner: Außerdem sei der Halunke, soviel er hier und dort aufgeschnappt haben möge, durch und durch ungebildet.
    Es sah so aus, als wollten sich alle für das Ehrengericht entscheiden. Als Logau fragte, ob das schon feststehende Urteil jetzt sogleich oder erst später ausgesprochen werden solle und wer denn bereit sei, den Stoffel bei seinen Musketieren aufzusuchen und vorzuladen, meldete sich niemand. Weil Laurember rief: Das könne Greflinger tun, der trage sich doch am liebsten gepludert und als Soldat! fiel auf, daß Greflinger fehlte.
    Sofort hieß Schneubers Verdacht: Der stecke bestimmt mit Gelnhausen unter einer Decke. Doch als Zesen es noch genauer wissen wollte – Gewiß plane man weitere Anschläge »Wider di teutschen Tichter« –, sagte Dach: Er habe für üble Nachrede noch nie ein Ohr gehabt. Er werde gehen. Einzig ihm falle es zu, Gelnhausen vorzuladen.
    Das wollten Albert und Gerhardt nicht zulassen. Überhaupt sei es gefährlich, die betrunkenen Kaiserlichen zu dieser Stunde zu reizen, sagte Weckherlin. Auch Moscheroschs Rat, die Wirtin zu rufen, wurde nach üblichem Hin und Her als unwürdig verworfen. Auf Rists Ruf: Man solle den Kerl in Abwesenheit verurteilen! gab Hoffmannswaldau zurück: Ihn bitte gleich mit. Solche Verhandlung sei nicht nach seinem Geschmack. Wieder fanden sich alle ratlos. Sie schwiegen um den langen Tisch. Nur Gryphius wollte Spaß an dem neuaufwallenden Jammer finden: Gegen das Leben helfe einzig der Tod.
    Schließlich beendete Dach den Verfahrensstreit: Er werde am nächsten Morgen, noch vor Beginn der letzten Lesungen, den Regimentssekretär zur Rede stellen. Dann bat er uns alle, gottbefohlen, Nachtruhe zu halten.
    17
    Greflinger – um es gleich zu sagen – war fischen gegangen. Vom Wehr der Walkmühle hatte er ein Netz in die äußere Ems

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