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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Gryphius, mit der beredten Weisheit des Johann Rist Schritt zu halten? Ja, mit dem kühnen und reichverzierten Witz der Herrn Harsdörffer und Moscherosch wolle er wetteifern? Er, den kein Magister das Satzstellen und Versfüßezählen gelehrt habe, wage es, sich an der Silbenkunst und mit dem scharfsinnigen Logau zu messen? Ihm, der nicht wisse, was er grad glaube, falle es ein, des Herrn Gerhardt fromme Lieder zu übertönen? Er, der als Troßbube und Stallknecht, später als gemeiner Soldat und seit kurzem erst als Kanzleiskribent seine Laufbahn gemacht und dabei nur das mörderische Fouragieren, Leichenfleddern und Beutelschneiden, zum Schluß grad noch leidlich das Protokollschreiben gelernt habe, wolle fortan mit Klinggedichten und geistlichem Lied ergreifen, mit sinnreich erheiternden Satiren, mit Oden und Elegien brillieren, womöglich gar mit tiefgründenden Traktaten andere belehren? Er, der Stoffel, der Simpel, wolle zum Dichter werden?
    Die Wirtin lachte nicht lange. Mitten im Satz holte sie der Widerspruch ein. Grad höhnte sie noch, das wünsche sie, gedruckt und paginiert zu sehen, was solch ein Stoffel über sie, die Libuschka aus böhmisch-adligem Geschlecht, wie Fliegenschiß aufs Papier bringe, da schlug Gelnhausen zu. Mit der Faust. Die traf ihr linkes Auge. Sie fiel, kam wieder hoch, torkelte in ihrer als Warenlager vollgestellten Kammer, stolperte über Sättel, Stulpstiefel, tastete und fand einen hölzernen Stössel, wie er zum Erbsmehlstampfen benutzt wurde. Sie suchte mit einem Auge, denn das andere hatte der Faustschlag geschlossen, den Madenscheißer, Susannenkerl, den Fuchsbart, die Blatternfratz – doch fand sie nur Plunder und schlug, bis sie jämmerlich wurde, ins Leere.
    Gelnhausen war schon draußen. Über den mondhellen Hof, durchs Holundergebüsch lief er zur äußeren Ems hin, wo er weinend den weinenden Harsdörffer traf. Den hatte es am Ende doch noch, vor Unglück schlaflos, aus dem Bett getrieben. Seitab, auf dem Walkmühlenwehr, hätte man Greflinger fischen sehen können; doch Harsdörffer sah nicht, auch neben ihm Gelnhausen war ohne Blick.
    Über der steilen Uferböschung saßen die beiden bis in den Morgen. Sie sagten sich nicht viel. Selbst ihr Elend mußte nicht ausgetauscht werden. Keine Vorwürfe, kein Reuewort. Wie schön hatte sich der Fluß in ihr Jammertal gebettet. Ihrem Trübsinn gab eine Nachtigall Antwort. Vielleicht riet der erfahrene Harsdörffer dem Stoffel, wie man als Dichter sich einen Namen mache. Vielleicht wollte der Stoffel schon damals wissen, ob er den hispanischen Erzählern nacheifern solle. Vielleicht setzte die Nacht am Emsufer dem zukünftigen Dichter jene erste Verszeile »Komm, Trost der Nacht, o Nachtigall…«, die später das Lied des Einsiedlers im Spessart eröffnen sollte. Vielleicht warnte Harsdörffer so früh schon den jungen Kollegen vor Raubdrucken und Verlegergeiz. Und vielleicht schliefen die Freunde endlich nebeneinander.
    Erst als Stimmen und Türenschlagen vom Brückenhof her den Tag ansagten, schreckten sie auf. Wo sich die Ems teilte, um mit dem einen Arm vor der Stadtmauer, mit dem anderen gegen das tecklenburgische Land den Emshagen zu umfassen, schaukelten Haubentaucher. Zur Walkmühle hin sah ich, daß Greflinger das Netz, die Angeln eingeholt hatte.
    Gegen die Sonne hinter den Birken des drüben liegenden Ufers sagte Harsdörffer: Es werde die Versammlung womöglich ein Urteil sprechen. Gelnhausen sagte: Das kenne er schon.
    18
    So oftbenutzt die drei Mägde auftrugen, aus so jämmerlich verquollenem Gesicht die Wirtin Libuschka (wie einäugig) dreinschaute, die Morgensuppe war dennoch kräftig. Es mochte auch niemand mäkeln, weil der schmackhafte Sud merklich jenem Gänseklein, jenen Ferkelnieren, jenem (später bekränzt servierten) Hammelkopf abgekocht war, die vom gestrigen Spießbratenfest stammten. Geschwächt, wie die Herren aus ihren Kammern geschlichen kamen, war ihr Bedürfnis nach brühwarmer Kräftigung größer als ihr nicht geringer seelischer Katzenjammer, der aber erst zu Wort kam, als alle, von Albert und Dach bis zu Weckherlin und Zesen, ihre Suppe gelöffelt hatten.
    Zunächst – und während sich noch Birken und andere über ihren Nachschlag beugten – kamen neue Mißlichkeiten zur Sprache: Weckherlin war bestohlen worden. Aus seiner Kammer war ein Lederbeutelchen voller Silberschillinge verschwunden. Obgleich der Alte von Laurembergs schneller Verdächtigung, das sei bestimmt Greflinger

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