Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
gewesen, nichts wissen wollte, wurde der Verdacht, es habe der Vagant nach dem Geldbeutel gegriffen, durch Schneubers Behauptung verstärkt: Ihm sei der Verdächtige beim Würfelspiel mit den Musketieren aufgefallen. Außerdem belastete die unübersehbare Tatsache, daß Greflinger immer noch fehlte; er lag im Ufergebüsch neben den toten oder noch zuckenden Fischen und schlief sich die Mühsal des nächtlichen Fischfanges weg.
    Nachdem Dach, merklich angestrengt von den nachwachsenden Widrigkeiten, rasche Aufklärung des Verlustes versprochen und sich sogar für Greflinger verbürgt hatte, stieß neu das Elend von gestern auf: Wohin mit dem Grauen? Gebe es noch Sinn, weiterhin, wie von nichts betrübt, aus Manuskripten zu lesen? Klinge nach solchem Schinderfest nicht jeder Vers schal? Seien die versammelten Poeten noch befugt, trotz der schrecklichen Offenbarungen – unter ihnen womöglich ein Dieb! – sich als ehrenwerte Gesellschaft zu begreifen oder gar mit sittlichem Ernst einen Friedensaufruf zu verfertigen?
    Birken fragte: Habe man sich nicht, den gestrigen Räuberfraß schlingend, in Mitschuld verstrickt? So viel Bestialität passe in keine Satire, jammerte Lauremberg. Als wirke noch immer der Meßwein in ihm, kam es in Wortschüben aus Gryphius mächtiger Körperlichkeit. Und Weckherlin beteuerte: Selbst das gefräßige London, einen wahren Moloch, käme nach solcher Völlerei das Speien an. Worauf sich Zesen, Rist und Gerhardt in weiteren Schuld-, Buß, und Reuebildern ergingen.
    (Was nicht laut wurde, war das dem Weltekel unterstellte persönliche Leid: Gerhardts Sorge etwa, er werde wohl nie mit einer Pfarrei bedacht werden; und Moscheroschs inständige Angst, selbst Freunde könnten ihm nicht mehr die maurische Abkunft glauben wollen und ihn laut, nur des Namens wegen, als Juden schmähen, mit Worten steinigen; oder Weckherlins allem Spaß unterlegte Trauer um seine kürzlich gestorbene Frau. Auch fürchtete der Alte die Heimkehr und Einsamkeit in Gardiner’s Lane, wo er, fremd geblieben, seit Jahren hauste. Bald würde er pensioniert werden. Milton, ein anderer Dichter, sollte als Cromwells Parteigänger sein Nachfolger werden. Und weitere Ängste…)
    Und doch mußte – bei aller Anfechtung – Simon Dach über Nacht Kraft geschöpft haben. Er erhob sich zu straffer Mittelgröße und sagte: Es finde ein jeder noch lebenslang Zeit, seiner hierorts angereicherten Sünden zu gedenken. Für weitere Lamenti sei, nachdem allen die Morgensuppe geschmeckt habe, kein Platz. Da er den Gelnhausen nicht am Tisch sehe und kaum zu erwarten sei, daß ihm seine Zerknirschung erlaube, den Lesungen beizusitzen, bestehe kein Grund, ihn zu verurteilen, zumal ein solches Gericht selbstherrlich und nach Art der Pharisäer wäre. Da ihm Freund Rist, nicht nur als Poet, mehr noch als Pfarrer sicherlich zustimme und ihm aus Gerhardts Schweigen kenntlich werde, daß selbst ein so frommer wie strenger Christ ein Einsehen habe, wolle er nun – wenn endlich Lauremberg das Geschwätz mit den Mägden aufgebe – den Verlauf des Tages bekanntmachen und das fortgesetzte Treffen abermals Gottes unerschöpflicher Güte empfehlen.
    Nachdem er seinen Albert beiseite genommen und gebeten hatte, nach dem immer noch ärgerlich abwesenden Greflinger zu suchen, sagte Dach an, wer letztlich zur Lesung bereit sei: Czepko, Hoffmannswaldau, Weckherlin, Schneuber. Als er durch Zuruf aufgefordert wurde, nun endlich, allen zur Freude, seine Klage über die verlorene Kürbishütte vorzutragen, wollte sich Dach, mit dem Hinweis auf Zeitmangel, dem Wunsch der Poeten entziehen. Weil aber Schneuber (von Moscherosch dazu angestoßen) auf seinen Beitrag verzichtete, stand die Lesung dieses Gedichtes als Schlußstück fest; denn die von Rist und anderen geforderte Verabschiedung des Friedensaufrufes als politisches Manifest – es lagen zwei neue Fassungen vor – wollte Dach außerhalb der poetischen Veranstaltung behandelt sehen. Er sagte: »Derowegen wollen wir den Kriegs- vnd Friedenshändel nicht einbrechen lassen in vnseren Musenhain, umbdessen Pflag wir fürderhin besorgt seyn müssen. Sonder Achtung der Zäun könnt ein Frost vnsere schattige Kürbsranke beißen, daß sie dorret, wie schon, nach der Schrift, Jonas geschah.«
    Diese Fürsorge wurde geteilt. Zwischen der letzten Lesung und dem (wie man forderte) schlichten Mittagsmahl sollte der Friedensaufruf besprochen und namentlich verabschiedet werden. Nach dem Essen – die Wirtin versprach,

Weitere Kostenlose Bücher