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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Harsdörffer, daß Gelnhausen zu ihm komme, damit sie gemeinsam weinen könnten: über ihr elendes Los, über das rollende Glück, über den Trug unterm Glanz, über den Jammer der Welt…
    Aber Gelnhausen weinte sich bei der Wirtin Libuschka aus. Sie, die Alte, ihm immer Junge, sein bodenlos Faß und Kübel, sich auszuschütten, sie, seine Amme, sein Lotterbett, der saugende Egel hielt ihn und hörte sich satt: Wieder mal sei ihm alles daneben gegangen. Nichts gerate ihm. Immer stelle er sich ein Bein. Dabei habe er nur in Coesfeld, wo er die Nonnen des Klosters Marienbrink bis unter die Kutten kenne, einen kleinen Handel machen und nicht, wie landesüblich, fouragieren wollen. Einer der elf Teufel müsse ihm den Schwed vor die Musketen geschickt haben. Nie wieder wolle er sich auf Kriegsgeschäfte einlassen. Endgültig abmustern werde er beim Mars und nur noch friedlich kleinen Gewinn eintreiben. Etwa als Gastwirt. Wie ja auch sie, die unruhige Courage, als Wirtin Libuschka seßhaft geworden. Er wisse schon, wo es lohne, sich einzukaufen. Nahbei Offenburg. »Zum silbernen Stern« heiße die Schaffnei. Was die Courage könne, das werde auch ihm von der Hand gehen. Nur Zutrauen brauche es. So habe ihm grad vorhin noch der große Schütz, wo er doch streng hätte sein müssen, väterlich angeraten, häusig zu werden. Es hätte der weitberühmte Mann ihm, dem Stoffel, als er grad auf die Knie gehen und um Gnade bitten wollte, mit lieblichen Worten aus seiner Jugend in Weißenfels am Fluß Saale Bericht gegeben: Wie tüchtig dort sein Vater den breitgelagerten Gasthof »Zum Schützen« besorgt habe. Und daß unterm Erker des Wirtshauses, in Stein gehauen, ein Esel zu sehen gewesen sei, der auf der Sackpfeife blase. Grad solch ein Esel stecke in ihm, dem Stoffel, habe der Schütz gelacht und ihn Simpel genannt. Worauf er den würdigen Herrn gefragt habe, ob er dem sackpfeifenden Esel und Simpel das Führen einer breitgelagerten Wirtschaft zutraue? Mehr als das! sei des gütigen Herrn Antwort gewesen.
    Weil aber die Wirtin Libuschka aus dem böhmischen Bragoditz, welche (mal zärtlich, mal wegwerfend) Courage zu nennen der Stoffel nicht müde wurde, kein Zutrauen in dessen Wirtschaftsführung hatte, vielmehr nur Spott abließ – Es habe der Maestro Sagittario mit seinem »Mehr als das!« gewiß wachsende Zinslast, aufgestockt Schulden, den Schuldturm gemeint – und schließlich urteilte: Zum Wirt, der Gewinn mache, fehle ihm, außer dem seßhaften Polster, die feine Tugend, zwischen Zechprellern und treuer Kundschaft zu unterscheiden, wurde Gelnhausen, der bis dahin stumm geblieben war, rasend vor Wut.
    Alte Schell! Rabenaas! Vettel! Jauchenloch! nannte er sie. Er schimpfte sie eine Strahlhex, die nur und immer als Hur ihre Preise gemacht habe. Seitdem sie im Böhmerwald unter die Mansfeldschen Reiter geraten sei, stehe die Courage für jedermann offen. Ganze Regimenter hätten da ihren Durchritt gehabt. Man müsse nur an ihrer welschen Grindsalbe kratzen, dann komme die Hurenlarv raus. Sie, die taube Distel, der kein Kindlein habe geraten wollen, hätte ihm einen Balg unterschieben wollen. Doch das sei sicher: Er werde ihr heimzahlen, Wort für Wort. Sobald er sich aus dem Kriegsdienst gelöst und ihm sein künftiges Wirtshaus Gewinn gebracht habe, wolle er sich Federkiele extra zuschneiden. Jadoch! Feingesponnen und grobgewirkt werde er sein Skript anreichern und darin kenntlich machen, was ihm an Leben widerfahren sei. Neben Spaß und Schrecken auch der Courage käufliche Leibesherrlichkeit. Er kenne ja ihre krause Geschichte seit dem Geflüster im Sauerbrunnen: wie sie ihre Abstriche mache und ihr Diebsgeld verloche. Und was die Courage ihm damals verschwiegen hätte, habe ihm, dem alles vermerkenden Stoffel, sein Kumpan Springinsfeld bis ins kleinste Geheimnis gepfiffen: wie sie vor Mantua ihren Handel getrieben, welcher Zauber in Fläschchen gewesen, wie viele Braunschweiger über sie weg… Alles, alles! An die dreißig Jahr Hurerei und Diebswesen werde er zu Papier bringen, damit es bleibe – und zwar nach allen Regeln der Kunst!
    Das fand die Wirtin Libuschka lustig. Allein die Vorstellung schüttelte sie. Aus dem Bett trieb ihr Lachen den Gelnhausen, dann sie: Er, der Stoffel und simple Regimentsschreiber, wolle es den gelehrten Herren, die in ihrem Haus namentlich versammelt seien, in ihrer Kunst gleichtun? Er, dem das Mundwerk vor Närrischsein übergehe, maße sich an, mit dem Wortgestüm des Herrn

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