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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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abzustellen. Ihre Mitschuld an dem Greuel sei vor Gott klein. Ihre Sache jedoch, die dem Wort diene und dem armen Vaterland nütze, bleibe groß und müsse ihren Fortgang finden. Er hoffe, dabei nicht gestört zu haben.
Dann stand er auf und verabschiedete sich: von Dach besonders, herzlich von Albert, von allen anderen mit einer Geste. Er sagte noch: Nicht des schändlichen Vorfalles wegen, sondern weil es ihn eilig nach Hamburg und weiter ziehe, reise er vorzeitig.
Nach knappen Anweisungen – Dach schickte Greflinger, das Gepäck holen – nahm Schütz einige Schritte weit Gelnhausen beiseite. Man hörte den alten Mann freundlich reden, dem Tonfall nach: gutzureden.
Einmal lachte er, dann lachten beide. Als der Stoffel vor ihm auf die Knie fiel, zog ihn Schütz hoch. Er soll, was Harsdörffer später erzählte, zu dem Regimentsschreiber gesagt haben: Er dürfe seine Lügengeschichten nie wieder mörderisch ausleben, sondern müsse sie beherzt niederschreiben. Lektionen habe ihm das Leben genug erteilt.
Als Heinrich Schütz abreiste, wurden ihm, außer dem Planwagen, zwei kaiserliche Reiter bis Osnabrück als Geleit gestellt. Bei Fackellicht standen die Herren im Hof. Danach rief Simon Dach die Versammlung in die Kleine Wirtsstube, wo wieder, als sei nichts geschehen, der lange Tisch stand.
    16
    »O Nichts, o Wahn, o Traum, worauf wir Menschen bauen…« Alles schlug in Jammer um. Die Spiegel malte das Grausen trüb. Den Wörtern war der Sinn verkehrt. Die Hoffnung darbte am verschütteten Brunnen. Auf Wüstensand gebaut, hielt kein Gemäuer. Einzig verlacht hatte die Welt noch Bestand. Ihr falscher Glanz. Des grünen Astes verheißene Dürre. Das weißgetünchte Grab. Die schöngeschminkte Leich. Der Ball des falschen Glücks… »Was ist des Menschen Leben, Der immer um muß schweben, Als eine Phantasie der Zeit!«
    Solange der Krieg dauerte, doch seit den ersten, den Lissaer Sonetten des jungen Gryphius noch heilloser, war ihnen alles wie ohne Heil. So viele Lüste ihren Satzbau schwellten, so zierlich sie die Natur zu einer Schäferei, reich an Grotten und Irrgärten, frisierten, so leicht ihnen Klingwörter und Klangbilder von der Hand gingen und mehr Sinn aufhoben als gaben, es geriet ihnen die Erde in letzter Strophe immer zum Jammertal. Den Tod als Erlösung zu feiern, gelang selbst den minderen Poeten ohne Mühe. Geil nach Ehre und Ruhm sah man sie wetteifern, die Vergeblichkeit menschlichen Tuns in prächtigen Bildern zu fassen. Besonders die Jungen waren mit dem Leben in Zeilen schnell fertig. Doch auch den Älteren war der Abschied vom Irdischen und seinem Blendwerk dergestalt geläufig, daß man das Jammertalige und den Erlösungsjubel ihrer fleißig (gegen mäßigen Lohn) geschriebenen Auftragsgedichte als zeitmodisch empfinden konnte, weshalb Logau, der sich gern kühl auf Seiten der Vernunft hielt, seinen Spaß an der gereimten Todessehnsucht seiner Kollegen hatte. Mit ihm waren etliche gemäßigte Nachredner der These »Alles ist eitel« gelegentlich bereit, einander hinter das düstere Deckblatt in die heiter bebilderten Spielkarten zu gucken.
    Deshalb hielten Logau, Weckherlin und die weltgewandten Harsdörffer und Hoffmannswaldau den gegenwärtigen Glauben, es werde ohnehin demnächst der Weltuntergang kommen und einem Gutteil der ihn herbeiunkenden Poesie den Beweis nachliefern, für nichts als Aberglauben. Doch die anderen – mit ihnen die Satiriker und sogar der lebenskluge Dach – sahen den Jüngsten Tag zwar nicht allzeit, aber doch immer dann in greifbarer Nähe, wenn sich die Gegenwart was sie oft tat – politisch verdunkelte oder sobald sich die alltäglichen Schwierigkeiten zum Knoten verdickten: zum Beispiel, als nach dem Geständnis Gelnhausens das Festmahl der Poeten nur noch als Fresserei verdammt werden konnte und der Poeten Heiterkeit in Jammer verkehrt wurde.
    Einzig von Gryphius, dem Meister der Düsternis, ging Frohsinn aus. Ihm war solche Stimmung üblich. Gelassen hielt er im Chaos stand. Sein Begriff menschlicher Ordnung fußte auf Trug und Vergeblichkeit. Also lachte er: Was das Gezeter solle? Ob ihnen jemals ein Fest widerfahren wäre, das sich nicht selbsttätig in Graus ersäuft hätte?
    Doch die versammelten Poeten konnten vorerst nicht aufhören, in den Höllenschlund zu starren. Das war des frommen Gerhardt Stunde. Rist nicht minder fleißig. Aus Zesen frohlockte in Hörbildern Satan. Jammervoll ging dem jungen Birken der Schmollmund über. Mehr in sich gekehrt sah

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