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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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die Älteren, Buchner und Weckherlin, denen ihr Leben lang einzig die Poesie wichtig gewesen war; und auch Gryphius blieb bei der Sache, so leicht es ihm fiel, alles Entstehende im noch unfertigen Zustand als nichtiges Scheinwerk zu verwerfen. Niemand wollte aufstecken, nur weil wieder einmal die Realität Einspruch erhoben und mit Unflat nach der Kunst geworfen hatte.
    Deshalb blieben alle ruhig auf ihren Stühlen, Schemeln und Fässern im Halbkreis versammelt, als Gelnhausen – kaum hatte sich Czepko zwischen die Distel und Simon Dach zur Lesung gesetzt – vom Garten her durch ein offenes Fenster in die Große Wirtsdiele stieg. Mit seinem fuchsigen Bart blieb er auf der Fensterbank hocken und hatte nichts als den Sommer hinter sich. Weil keine Unruhe die Versammlung bewegte, eher ein aus Entschlossenheit rührender Krampf die Herren festigte, glaubte Dach, das Zeichen für Czepko geben zu dürfen; der Schlesier wollte Gedichte lesen. Schon holte er Atem.
    Da sagte – noch vor dem ersten Vers – Gelnhausen mit einer Stimme, die bescheiden vorklang, doch mit Spott unterlegt war: Er freue sich, daß die hoch- und weitberühmten Herren, welche unter Apollos Schirm so gegenwärtig wie ewig versammelt seien, ihn, den vom Spessart entlaufenen Bauernlümmel, trotz des gestrigen, vom Herrn Schütz streng gerügten, dann aber christlich verziehenen Schwindels wieder aufgenommen hätten in ihrer Runde, damit er, der simple Stoffel, sich weiterbilden könne, bis daß auch er, dem alles Gelesene wirr überhauf liege, eine Ordnung zu machen verstehe. So belehrt, wolle er in die Kunst, wie grad durchs Fenster, den Einstieg finden und – falls die Musen geneigt – zum Dichter werden.
    Nun erst brach der gestaute Ärger auf. Hätte er stillgesessen – nun gut. Wäre er ihnen mit leisem Dabeisein behilflich gewesen, Großmut zu zeigen – noch besser. Aber die Anmaßung, ihnen gleichsein zu wollen, war den weitgereisten Herren der fruchtbringenden, aufrichtigen, pegnesischen und deutschsinnigen Gesellschaften zuviel. Mit Ausrufen wie: Mordbube! Lügenbeutel! machten sie sich Luft. Rist schrie: »Pfäffischer Agent!« Jemand (Gerhardt?) verstieg sich in den Ruf: »Weiche, Satan!«
    Sie sprangen auf, schüttelten Fäuste und wären wohl, Lauremberg voran, handgreiflich geworden, hätte nicht Dach die Situation begriffen und Harsdörffers Zeichen aufgenommen. Mit seiner selbst in ernster Lage leichthin plaudernden Stimme, die immer sagen wollte: Ist ja gut, Kinder. Nehmt euch nur halb so ernst…, schaffte er Ruhe und bat dann »Den Spielenden«, sich zu erklären.
    Harsdörffer fragte Gelnhausen, den er als Freund ansprach, eher leise: Ob er sich zu den Freveln bekenne, die ihm die Wirtin Libuschka zusätzlich angelastet habe. Er zählte alle Beschuldigungen auf, zum Schluß den ihn besonders kränkenden Schwindel mit dem gestohlenen Exemplar seiner Frauenzimmergesprächsspiele aus der Bibliothek des päpstlichen Nuntius.
    Jetzt vorherrschend selbstbewußt sagte Gelnhausen: Er wolle sich nicht mehr verteidigen. Ja, ja und ja. Mit seinen Reitern und Musketieren habe er zeitgemäß gehandelt, wie die hier versammelten Herren gezwungen seien, zeitgemäß zu handeln, indem sie mit ihren Huldigungspoemen Fürsten zu loben hätten, denen die Mordbrennerei geläufig wie das tägliche Ave sei, deren größerer Raub als sein Mundraub mit Pfaffensegen bedacht werde, denen Untreue praktisch wie ein Hemdwechsel sei und deren Reue kein Vaterunserlang halte. Er hingegen, der beklagte Stoffel, bereue schon längst und werde noch lange bereuen, daß er solch lebensferner Gesellschaft zu Quartier verholfen, mit seinen Reitern und Musketieren vor gerotteten Landstörtzern geschützt und obendrein, sich selbst befleckend, mit dreierlei Spießbraten, süffigem Wein, Stutenbrot und gewürztem Konfekt verköstigt habe. Das alles, wie man sehe, ohne Gewinn für sich, wohl aber aus Dankbarkeit für etliche ihm hier erteilte Lektionen. Jaja, es stimme, daß er die hochgelehrten Poeten habe erfreuen wollen mit seiner Mär von den gehäuften Grüßen der im Stift Münster versammelten fürstlichen, königlichen und kaiserlichen Gesandten. Desgleichen habe er Harsdörffer, der ihm bis dahin so freundlich gesonnen und den er liebe wie seinen Herzbruder, mit einer kleinen Phantasie zu beglücken versucht; was auch gelungen sei, denn der Nürnberger habe sich über den Widmungswunsch des Päpstlichen Nuntius ohne Zieren gefreut. Was zähle da noch die

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