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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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gewandt.
    »Mit Gespenstern … da kennen Sie sich doch aus, oder?«, fragte er, sichtlich unangenehm berührt. Laurits konnte ihn verstehen. Ein Teil von ihr fühlte sich auch unangenehm berührt, dass jemand ernsthaft an so einen Unsinn glauben konnte. Ihr war in all den Jahren jedenfalls nicht eins begegnet.
    »Darauf können Sie sich verlassen«, antwortete sie. Horace senkte die Schultern. Seit Jahrhunderten gab es Gespenster auf Liljenholm, erzählte er jetzt mit gesenkter Stimme, und seit der Geburt der Kinder schrien und tobten sie jede Nacht.
    »Mir macht ihr Unwesen nichts aus, aber ich habe ja auch nie etwas anderes gekannt«, bemerkte Horace. »Frau Claras Leben dagegen ist zu einem Albtraum geworden, Fräulein Lauritsen. Zurzeit wagt sie, aus Angst, was den Gespenstern einfallen könnte, weder Liljenholm noch die Zwillinge auch nur für einen Moment aus den Augen zu lassen. Diese Situation ist einfach nicht tragbar. Tag und Nacht sitzt sie an ihrer Wiege und zittert.«
    »Sie sorgen sich um ihr Leben?«
    Seine Augen wurden ganz groß.
    »Ich sorge mich um ihr Leben und um das meiner Töchter, Fräulein Lauritsen. Ich bin bereit, Sie großzügig zu entlohnen, wenn Sie die Gespenster beschwichtigen können.«
    Laurits war es inzwischen zur Gewohnheit geworden, scharf nachzudenken. »Da Frau Clara als Einzige von den Gespenstern geplagt wurde, existierten sie zweifellos nur in ihrem Kopf. Genau wie all die anderen Gespenster, mit denen ich über die Jahre hinweg zu tun hatte«, schrieb sie. »Doch das Gehalt war sehr viel besser, als ich es gewohnt war, und das Gut auch. Die Aussicht, dort zu wohnen, für mich war das fast das Gleiche, als würde ich ein herrschaftliches Leben führen. Und außerdem erwartete niemand von mir, dass ich in Trance fiel oder tief in die Karten sah. Damals hatte ich keinen Zweifel, dass das Leben es endlich besser mit mir meinte, und ehrgeizig sagte ich zu.«
    Als Laurits sich für die sichere, breite Lindenallee mit Liljenholm an ihrem Ende entschied, wusste sie natürlich nicht, dass William von Frydenlund der Vater der Zwillinge war und nicht Horace. Sie wusste ebenfalls nicht, dass die Leute in der Gegend bereits darüber tuschelten und wilde Spekulationen anstellten, welches der beiden Neugeborenen einmal das dunkle Schicksal von Liljenholm ereilen würde. Die erstgeborene Antonia oder die schwächliche Lily? Wer von ihnen würde sich umbringen, und wann?
    Die Gerüchte bezüglich der Vaterschaft erreichten Laurits innerhalb der nächsten Jahre. Sie bestätigten den Verdacht, der bereits einige Zeit in ihr gekeimt hatte, denn ihr war längst aufgefallen, dass William von Frydenlund allzu oft auf Liljenholm vorbeikam, »um nach Frau Clara zu sehen«, die immer auffallend elegant gekleidet war, wenn er sich angekündigt hatte. Außerdem erkannte Laurits, dass die Zwillinge nicht einen der Züge ihres Vaters geerbt hatten. Das änderte sich auch nicht, als sie älter wurden und zu kleinen Mädchen heranwuchsen, die herumstolperten und von allem wissen wollten, wie es hieß. Horace schien jedoch nicht das Mindeste zu bemerken. »Er vergöttert seine Töchter«, schrieb Laurits, »jedenfalls meistens«. Und das war gut so, denn Claras Sorge um die Mädchen zeigte sich in immer öfter auftretenden Angstanfällen. Laurits konnte sie teilweise nachvollziehen, denn zu diesem Zeitpunkt war selbst ihr bereits ziemlich klar, dass auf Liljenholm Türen knallten und Stimmen flüsterten und hier und da Dinge verschwanden. »Ich muss zugeben, dass Liljenholm sein eigenes, unergründliches Leben hat«, schrieb sie. »Doch Frau Claras Entsetzen schießt weit über das Ziel hinaus. Sie sieht Dinge, die einfach nicht da sind, und regt sich unnötig über Gegenstände auf, die verschwinden.«
    »Die Gespenster!«, rief sie aus dem Zimmer der Mädchen, und wenn Laurits dann angelaufen kam, zeigte sie mit zitternden Fingern in leere Ecken.
    »Da sind sie, Fräulein! Sehen Sie sie nicht?«
    Laurits traf von Anfang an eine kluge Entscheidung: Sie sagte Nein. Sie war es zwar gewohnt, vor den Augen anderer in Trance zu fallen, doch sie war nicht nach Liljenholm gekommen, um damit fortzufahren. »Es geht mir physisch schlecht bei dem Gedanken, am ganzen Körper zu zittern und mit verzerrter Stimme zu sprechen«, schrieb sie. »Ich muss eine andere Lösung finden. Bald ist nichts mehr von Frau Clara übrig als ein Bündel zitternder Knochen. Obwohl ich für die Mädchen tue, was ich kann, brauchen sie

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